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Eine
Weihnachtsbescherung
Weihnachtserzählung
von Paul Heyse - Seite 8
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Anfang der Weihnachtserzählung ]
auf dem Ladentisch lag. Aber wie hübsch war es anzusehen, wie die
Flügel des stumpfen Näschens hin und wieder zitterten, wenn bei einer
ergreifenden Stelle des alten vergriffenen Leihbibliothekromans ein Seufzer den
atmenden Busen hob, und wie allerliebst bewegten sich die vollen Lippen, die
manchmal eine besonders schöne Stelle halblaut vor sich hin zu sprechen
schienen. Sie hatte den einen Arm auf den Ladentisch gestützt, eine zarte
Locke fiel ihr über die kleine runde Hand, manchmal zog sie die etwas
dunkleren Brauen zusammen, und dann wieder lächelte sie, dass zwei
Grübchen in den vollen Wangen erschienen und kleine blanke Zähne
einen Augenblick vorblitzten. Die Geschichte die sie las, schien zu Ende zu
gehen, in ungeduldiger Hast wandte die freie Hand die letzten Blätter um;
als sie den Deckel zuklappte, legte sie sich mit dem Ausdruck großer
Befriedigung in den Sessel zurück, sah ein Weilchen in die Gasflamme empor
und öffnete den weichen roten Mund gleich darauf zu einem ganz
unverstellten Gähnen, wie Jemand, der sich unbelauscht glaubt. Aber auch
diese Geberde, die sonst nicht für die anmutigste gilt, ließ ihr
nicht übel, zumal dabei das Innere ihres rosigen Mundes und die kleinen
Eichkätzchenzähne zum Vorschein kamen und der weiße, volle
Hals, dessen frische Haut gegen das graue Pelzkrägelchen höchst
appetitlich sich abhob.
Wenn dies alles eine wohleinstudierte Komödie gewesen wäre, um den
Zuschauer draußen auf der Straße zu fesseln, hätte sie es
nicht geschickter anstellen können. Doch war es unmöglich, durch die
aufgestapelten Schätze ihres Wollen- und Strumpfwarenlagers hindurch in
dem Schaufenster draußen überhaupt nur eine menschliche Figur zu
erkennen, geschweige den betrübten Witwer zu vermuten, der zu dieser
späten Zeit ihren Laden nie betreten hatte. Wie sie sich also gab,
entsprach es ihrer unbekümmerten behaglichen Natur, die selbst in
unbewachten Augenblicken sich auf nichts Hässlichem ertappen ließ.
Diese Erkenntnis, wenn auch nur als ein dumpfer sinnlicher Eindruck,
bemächtigte sich auch des biederen Wachtmeistergehirns, in welchem es
immer wunderlicher von streitenden Gedanken wogte und wirbelte, je länger
die Augen in das helle, warme Lädchen hineinstarrten. Widerwillen stellte
die ehrliche Seele einen Vergleich an zwischen der lebendigen Gegenwart und den
liebsten Erinnerungen. Wenn man gerecht sein wollte, musste man gestehen: neben
dieser von Kopf bis Fuß untadeligen kleinen Person da in dem Rohrsessel
hätte die Selige sich wie eine grobe Magd ausgenommen. Was war ihre
Nachthaube gegen dieses Kaputzchen, ihre derbe Hand gegen das weiche kleine
Patschchen, das sich um den Bart gehen zu fühlen auch der
Großtürke für eine absonderliche Wonne gehalten hätte.
Wenn die Rosel gähnte, worin sie stark war, verzog sie den Mund mit den
nicht sonderlich gepflegten Zähnen zu einer unförmigen Höhle und
reckte die starken Arme hoch über den Kopf. Auch hatte sie nie die
geringste Lust bezeigt, ein Buch in die Hand zu nehmen. Ein paar Hefte einer
illustrierten Zeitschrift, die sie bei ihrem Gatten vorgefunden, nahm sie an
langweiligen Feiertagen wohl auf den Schoß und betrachtete die Bilder,
ohne die geringste Wissbegier, was sie wohl bedeuteten. Ihr Wachtmeister war
ein Lehrersohn und hielt etwas auf Bildung, wenn auch nur militärische. Er
wurde nicht müde, ein paar alte Handbücher über
Kriegswissenschaft und einer populären Schrift über den
französischen Krieg zur Hand zu nehmen, und hätte es gern gesehen,
wenn die Rosel Interesse dafür gezeigt hätte. Die las aber
höchstens einmal in einem alten Kochbuch, und freilich war sie eine
perfekte Köchin gewesen, und als solche hatte er sie im Hause des Obersten
kennen und schätzen lernen. Der Dienst nahm ihn auch zu sehr in Anspruch,
um sich ernstlich mit der ferneren Bildung seiner Frau zu befassen. Jetzt aber,
da er Invalide geworden war und nach dem Schluss seiner Bank freie Zeit hatte,
war's ihm doch pläsirlich gewesen, mit der Webern einen vernünftigen
Diskus führen zu können. Wenn das aufhören sollte, wie
würde er die langen Abende herumbringen? In Gesellschaft eines weiblichen
Wesens freilich, das in der Leihbibliothek abonniert war und gewiss eine Menge
hübscher Geschichten wusste - -
Aber das war ja sündhaft, so etwas sich auszumalen, am heutigen Abend in
das fremde Weibergesicht so wie verhext zu schauen, während die arme
Selige draußen auf ihr
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