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Das
Heimchen am Herde
Erstes
Gezirpe.
Weihnachtserzählungen
von Charles Dickens - Seite 9
Übersetzer: Richard Zoozmann
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Kapitelanfang der Weihnachtserzählung ]
eines Teils seines Lieblingsspruches gewidmet hatte - dass er sich nämlich
tüchtig schmecken ließ, was er aß, wenn man auch nicht zugeben
konnte, dass er nur wenig aß. - "Das sind also wirklich alle Pakete,
John, nicht wahr?" "Es sind alle", sagte John. - "Doch nein
- "da fällt mir eben ein, dass ich . . .," er unterbrach sich
plötzlich mit einem langen Atemzuge und ließ Messer und Gabel fallen
- "da fällt mir eben ein . . . dass ich den alten Herrn ganz
vergessen habe." "Was für einen alten Herrn?" fragte Dot.
"Draußen im Karren", gab John zur Antwort. - "Er schlief
im Stroh, wie ich ihn das letzte Mal sah. Es ist mir beinahe schon zweimal
eingefallen, seit ich heimkam, aber ich habe ihn immer wieder vergessen. -
Holla! heda! Ihr dort! Aufgestanden! Wir sind zur Stelle Alter!"
Die letzten Worte rief John draußen vor der Tür, wohin er mit dem
Lichte gesprungen war.
Tilly Döskopp mochte denken, es liege irgendein Geheimnis hinter der
Erwähnung des alten Herrn versteckt, und verband damit in ihrer
getäuschten Phantasie gewisse ehrfurchtsvolle Begriffe. Deshalb fand sie
sich aus ihrer Gemütsruhe so aufgestört, dass sie hastig von dem
niedern Schemel am Feuer aufsprang und hinter dem Rücken ihrer Herrin
Schutz suchen wollte. Wie sie aber an der Tür vorüber ging,
stieß sie plötzlich mit einem alten Manne zusammen, gegen den sie
sich instinktmäßig mit der einzigen Trutzwaffe, die ihr zu Gebot
stand, in Parade auslegte: diese Trutzwaffe war aber zufällig der
Säugling, und so brachte ihr Verfahren große Aufregung und Unruhe
hervor, die Boxers Scharfsinn womöglich noch vergrößerte. Der
wackere Hund hatte nämlich, wie es schien, vorsichtiger als sein Herr, den
alten Herrn in seinem Schlafe bewacht, damit er nicht etwa mit ein paar jungen
Pappelbäumen, die hinten auf den Wagen gebunden waren, davonlaufe, und
hielt noch immer ein wachsames Auge auf ihn, indem er ihn an seinen Gamaschen
zauste und ganz verzweifelt nach den Knöpfen schnappte.
"Ihr habt meiner Treu einen merkwürdig guten Schlaf, Sir!" hub
John an, als der Friede wieder hergestellt war; der alte Herr stand
nämlich inzwischen entblößten Hauptes und steif und starr
mitten im Zimmer: - "Ihr habt so fest geschlafen, dass ich fast auf den
Einfall käme, Euch zu fragen, wo Ihr die andern Sechs* (*Alter Herr ist in
England ein Spitzname für den Teufel. Die andern Sechs sind aber daher
eine Anspielung auf die Sage von den sieben Schläfern) gelassen habt, wenn
das nicht ein Witz wäre, den ich nur verderben würde! Aber
beinahe," setzte der Fuhrmann schmunzelnd hinzu, - "benahe hätte
ich einen Witz gemacht!"
Der Fremde, der langes weißes Haar und freundliche, für einen alten
Mann noch ziemlich wohlerhaltene Züge von kühnem Schnitt, und dunkle,
glänzende, durchdringende Augen hatte, schaute sich lächelnd um und
grüßte des Fuhrmanns Weib mit einem ernsten Kopfnicken.
Seine Tracht war höchst seltsam und auffallend - so altväterisch,
dass sie längst schon aus der Mode gekommen sein musste. Das ganze Gewand
war von brauner Farbe. In der Hand trug er einen großen braunen Knittel
oder Art Spazierstock, mit dem er jetzt auf den Boden stieß, dass der
Stock auseinander fiel und einen Stuhl bildete, auf dem sich der Alte mit aller
Gemütsruhe niederließ.
"Siehst du," sagte der Fuhrmann zu seinem Weibe, - "just so fand
ich ihn an der Straße sitzen, starr und steif wie ein Meilenzeiger und
fast ebenso taub!"
"Unter freiem Himmel?" fragte das Weibchen.
"Ja, im Freien, und gerade mit Einbruch der Nacht!" erzählte der
Kärrner weiter; - "hier Fahrgeld, sagte er, und gab mir achtzehn
Pence, dann kroch er in den Wagen und hier ist er nun."
"Er wird doch bald fortgehen, John", sagte Dot.
Das war aber keineswegs der Fall - der Fremde wollte nur sprechen.
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