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Kapitelanfang der Weihnachtserzählung ]
"Ach, liebe Frau, weinen Sie doch nicht so, wenn's beliebt," sagte
Tilly weinend; - "das reicht ja hin, den Kleinen umzubringen und zu
begraben, wenn's gefällig ist!"
"Höre, Tilly!" fragte ihre Herrin, die Augen trocknend, -
"willst du das Kind manchmal seinem Vater zum Besuche hierher bringen,
wenn ich nicht mehr hier wohnen darf und in meine alte Heimat
zurückgekehrt bin?"
"Au, reden Sie doch nicht so, wenn's beliebt!" rief Tilly, die nun
ihren Kopf zurückwarf und in eine lautes Heulen ausbrach, das sie in
diesem Augenblicke dem Heulen Boxers ganz ähnlich klang. - "Au, tun
Sie doch das nicht, wenn's gefällig ist! Au, was hat denn jemands Ihnen
getan, und was ist Ihnen mit jedermanns begegnet, dass Sie jedermanns so
unglücklich machen wollen? Au, au, au!"
Die weichmütige Jungfer Döskopp brach bei diesen Worten in ein
jämmerliches Geheul aus, das um so schallender und fürchterlicher
war, weil sie es so lange unterdrückt hatte. Sie hätte unfehlbar das
Kind aufgeweckt und so erschreckt, dass es ernste Folgen, ja vielleicht
Krämpfe für den Kleinen nach sich gezogen haben würde, wenn ihr
Blick in diesem Momente nicht auf Kaleb Plummer und seine blinde Tochter
gefallen wäre, die eben ins Zimmer traten.
Dieser Anblick rief das Gefühl für Schicklichkeit wieder in ihr wach;
sie stand mit offenem Munde einige Augenblicke stille, sprang dann auf das Bett
zu, worin der Kleine eben schlief, rannte im Wirbel wie eine mit dem Veitstanze
Behaftete in der Stube auf und ab und fuhr zur gleicher Zeit mit Kopf und
Gesicht unter die Betttücher, was ihr offenbar zu nicht geringer
Erleichterung diente.
"Wie, Marie?" sagte Berta, "du bist noch nicht bei der
Hochzeit?"
"Ich sagte ihr, Ihr würdet nicht hingehen, Madame,"
flüsterte Kaleb; "ich hörte gestern Abend so etwas. Aber so wahr
ich lebe," sagte der kleine Mann, und drückte ihr zärtlich beide
Hände, - "ich kümmere mich nicht im mindesten um das, was sie
sagen. Ich bin zwar kein sonderlicher Held, aber fürwahr, was an mir ist,
das soll man in Stücke reißen, wenn ich nur ein Wörtchen von
dem glaube, was man gegen Euch vorbringt!" Er legte ihr seine Arme um den
Nacken und drückte sie so kosend und liebreich an sich, als nur ein Kind
seiner Puppe begegnet.
"Berta konnte es heut früh nicht zu Hause aushalten," sagte
Kaleb; - "ich weiß, sie kann die Glocken nicht läuten
hören, und getraut sich selbst nicht, ihnen an ihrem Hochzeitstage so nahe
zu sein. So brachen wir denn bei guter Zeit auf und kamen hierher. - Ich habe
mir's nun genauer erwogen, was ich getan habe," setzte Kaleb nach einer
kurzen Pause hinzu; - "Ich habe selbst mit mir gezankt und mich getadelt,
bis ich mir nicht mehr zu helfen wusste, dass ich ihr soviel Kummer bereitet
hatte. Nun bin ich zu dem Entschlusse gekommen, der auch wohl der beste sein
wird, ihr alles zu sagen, wenn Ihr, liebe Madam, derweilen bei mir bleiben
wollt. Nicht wahr, Ihr wollt meinem Geständnisse beiwohnen?" fragte
er, am ganzen Leibe zitternd. - "Ich weiß zwar nicht, was für
eine Wirkung es auf sie ausüben wird; ich weiß nicht, was sie
alsdann von mir denken wird, und ob sie sich überhaupt nachher noch um
ihren armen Vater wird kümmern wollen. Allein es ist am besten für
sie, ich enttäusche sie jetzt, und so muss ich denn die Folgen tragen, wie
ich sie verdient habe!"
"Marie," sagte Berta, - "wo ist deine Hand? Aha, hier ist sie!
hier ist sie!" - Dabei führte sie sie an ihre Lippen, küsste sie
lächelnd und nahm sie unter ihren Arm. - "Ich hörte gestern
Abend, wie sie leise untereinander sprachen und einen Tadel auf dich warfen;
aber gewiss, sie hatten unrecht!"
Des Kärrners Frau blieb stille, aber Kaleb antwortete für sie.
"Sie hatten Unrecht!" sagte er.
"Ich wusste es wohl," rief Berta stolz; - "ich sagte es ihnen
auch, ich verwies es ihnen mit Verachtung, dass sie mich auch nur ein
Wörtchen davon ahnen ließen! Wie, sie wäre mit Recht zu
tadeln?" rief sie, drückte Dots Hand in der ihrigen und zog ihre
weiche Wange an ihren Mund; - "nein, nein, ich bin nicht so blind, um das
zu glauben!"
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