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Kapitelanfang der Weihnachtserzählung ]
seinem Haupte, das in meinen heißen Gebeten und in meinem Dank zum Himmel
vergessen werden sollte!"
"O meine Berta!" war alles, was der gute Kaleb zu stammeln vermochte.
"Und in meiner Blindheit konnte ich glauben, er sei so ganz anders!"
rief das Mädchen, und liebkoste ihn mit Tränen der innigsten,
zärtlichsten Liebe. - "Und obwohl er Tag für Tag und Nacht
für Nacht um mich war, und sich meiner stets so freundlich und wohlwollend
annahm, ließ ich mir das doch niemals träumen!"
"Der schmucke, frische, kräftige Vater in seinem blauen Rocke,
Berta!" sagte der arme Kaleb; - "nun ist er verschwunden! nun ist's
aus mit ihm!"
"Nichts ist verschwunden!" gab sie ihm zur Antwort; - "nein,
liebster Vater! nichts ist verschwunden! Alles, alles ist hier in dir! Der
Vater, den ich so innig liebte, den ich doch niemals herzlich genug liebte und
niemals ganz kannte, wie er ist! Der Wohltäter, den ich zuerst zu verehren
und zu lieben begann, weil er solch warmes Mitgefühl für mich an den
Tag legte - alles das ist hier in dir vereinigt. Nichts ist tot für mich.
Der Inbegriff von alledem, was mir am liebsten und teuersten war, ist hier in
diesen gealterten Zügen und diesem grauen Haar. Und ich, Vater, bin nun
nicht länger blind!"
Dots ganze Aufmerksamkeit hatte sich während dieser Unterredung auf Vater
und Tochter vereinigt, als sie aber nun nach dem kleinen Heumäher auf der
maurischen Wiese blickte, sah sie, dass die Uhr binnen wenigen Minuten schlagen
musste, und geriet deshalb sogleich in eine ungewöhnliche Aufregung.
"Vater!" sagte Berta zögernd; - "Marie!" "Ja,
mein Liebchen," versetzte Kaleb, "hier ist sie." "Nicht
wahr, Vater," fragte Berta, "mit ihr ist keine Veränderung
vorgegangen? Du hast mir von ihr nichts erzählt, was nicht
buchstäblich wahr ist?"
"Ich fürchte fast, liebes Kind, ich hätte es getan, wenn ich sie
hätte besser machen können, als sie zuvor war," gab Kaleb zur
Antwort; - "allein ich würde sie nur zu ihrem Nachteil verändert
haben, wenn ich sie überhaupt verändert hätte! An ihr gab's
nichts zu verbessern, Berta."
So vertrauensvoll auch das blinde Mädchen gewesen war, als sie diese Frage
tat, so waren doch ihr Vergnügen und ihr Stolz über diese Antwort
über alle Maßen groß, und es war reizend anzuschauen, wie sie
jetzt Dot von neuem umarmte.
"Gleichwohl mögen noch mehr Veränderungen vor sich gehen, als du
ahnen magst, meine Liebe," sagte Dot; - "allein es sind
Änderungen zum Guten, Veränderungen, die einigen unter uns
große Freude bereiten werden. Du musst nur darüber nicht zu sehr
erschrecken, wenn sich irgendeine davon ereignen und dir nahe gehen sollte.
Hörst du nicht Wagengerassel von der Straße her, Berta? Du hast ja
ein gutes Gehör; vernimmst du keinen Wagen?"
"O ja," versetzte Berta, "er fährt rasch auf uns zu."
"Ich - ich - ich weiß, dass du ein gutes Gehör hast,"
sagte Dot und legte ihre Hand auf das Herz und sprach offenbar nur deshalb so
hastig, als sie konnte, weiter, damit sie sein Pochen und ihre Aufregung
verberge; - "ich weiß, dass du ein gutes Gehör hast, weil ich
es selbst bemerkt habe, und weil du gestern Abend den fremden Schritt so
schnell bemerktest, obgleich ich nicht weiß, warum du, wie ich mich noch
erinnere, genau gehört zu haben, die Frage tatst: Wessen Schritt ist das?
und warum du gerade diesen Schritt schneller erkanntest, als irgend einen
andern. Allein wie ich dir soeben gesagt habe, es gehen noch mehr große
Veränderungen in der Welt vor - sehr große Veränderungen - und
wir können uns nicht besser darauf bereiten, als wenn wir uns vornehmen,
über gar nichts mehr Erstaunen zu wollen.
Kaleb begriff durchaus nicht, was sie damit meinte, da er bemerkte, dass sie
ebenso gut mit ihm, als mit seiner Tochter sprach. Zu seinem größten
Erstaunen sah er sie so verwirrt und betroffen, und in solcher Aufregung, dass
sie kaum mehr atmen konnte und sich an einem Stuhle halten musste, um nicht
umzufallen.
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