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Das
Heimchen am Herde
Drittes
Gezirpe.
Weihnachtserzählung
von Charles Dickens - Seite 2
Übersetzer: Richard Zoozmann
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Kapitelanfang der Weihnachtserzählung ]
sich der bitterste Schmerz, der ihn betroffen hatte, denn er zeigte ihm, wie
allein und verlassen er nun sei und wie das größte Band seines
Lebens einen plötzlichen, unheilbaren Riss bekommen hatte.
Je mehr er dies fühlte und je schneller er zur Erkenntnis kam, dass er sie
weit eher auf frühem Totenbette samt dem Kinde an ihrer Brust vor sich
liegen gesehen haben würde, desto höher stieg sein bitterer Groll
gegen seinen Feind. Er sah sich in der Tat jetzt nach einer Waffe um.
Dort hing eine Flinte an der Wand, die er herabnahm und mit der er ein paar
Schritte auf die Tür des Zimmers zuging, worin der treulose Gast schlief.
Er wusste, dass die Flinte geladen war. Er hegte sogar eine dämmernde
Ahnung, es wäre Recht geübt, wenn er diesen Menschen wie ein wildes
Tier niederschösse, und dieser Gedanke wuchs in seinem Geiste so heran,
dass er zu einem riesigen Dämon wurde, der sich seiner vollkommen
bemächtigte, alle milderen Gedanken austrieb und ihn unumschränkt
beherrschte.
Dieser Ausdruck ist eigentlich falsch, denn seine milderen Gedanken wurden
nicht ausgetrieben, sondern vielmehr nur künstlich und arglistig
umgewandelt; sie verkehrten sich in Stacheln, die ihn vorwärtstrieben; sie
verkehrten ihm Wasser in Blut, Liebe in Hass, Sanftmut in blinde Wut. Ihr Bild,
wenn auch kummervoll, gedemütigt und gewissermaßen entweiht, kam
doch nie aus seiner Seele, sondern flehte ihn mit unwiderstehlicher Macht um
Liebe und Erbarmen an. Wie er aber hier stand, drängte es ihn zu jener
Tür, zog die Waffe zu seiner Schulter hinauf, zuckte krampfhaft seine
Finger nach dem Drücker hin und rief ihm zu: Töte ihn in seinem Bett!
Er dreht die Flinte um, dass er die Tür mit dem Kolben einschlage, und er
hatte sie schon in die Luft erhoben, um zuzuschlagen, - irgend eine unklare
Gewalt drängte ihn jetzt, dem Fremden zuzurufen, er solle um Gottes willen
durchs Fenster entfliehen . . . .
Da ward auf einmal das verklimmende Feuer wie von überirdischer Gewalt
angefacht, der ganze Kamin war von hellem Lichtschein erfüllt und das
Heimchen auf dem Herde begann auf einmal zu zirpen!
Kein Ton, den er hätte hören können, keine menschliche Stimme,
selbst die ihrige nicht, hätte ihn so zu rühren vermocht. Die
kunstlosen Worte, in denen sie ihm ihre Liebe zu eben diesem Heimchen gestanden
hatte, klangen auf einmal wieder von neuem in seine Ohren: er sah gleichsam von
neuem, wie ernst, gerührt und ergriffen sie damals gewesen war, ihre holde
Stimme durchtönte sein besseres Wesen und rief es von neuem zu Leben und
Tatkraft auf.
Er stürzte von der Türe zurück, wie ein Schlafwandler, der aus
einem fürchterlichen Traum erweckt wird, und stellte die Flinte beiseite.
Das Gesicht in seine Hände verbergend, setzte er sich alsdann wieder zum
Feuer und fand in Tränen Erleichterung für sein schmerzbewegtes Herz.
Das Heimchen auf dem Herde trat ins Zimmer heraus und stand in Elfengestalt vor
ihm.
"Ich liebe es," sagte die Elfenstimme, ihm wohlbekannte Worte
wiederholend, - "weil ich es schon manch liebes Mal gehört, und weil
mir seine harmlose Melodie schon so manchen holden Gedanken gegeben hat!"
"Es ist wahr," sagte der Kärrner, - "so sprach sie
einst!" "Dies Haus war mir eine glückliche Stätte, John,
und ich liebe das Heimchen um ihretwillen!"
"Gott weiß es, dass es eine glückliche Stätte war!"
versetzte der Kärrner. - "Sie hat es glücklich gemacht,
allezeit, bis auf den heutigen Tag!"
"Sie ist so anmutig, so gutmütig, so häuslich, geschäftig
und muntern Sinnes!" sagte die Elfenstimme.
"Ja, das ist sie," gab der Kärrner zur Antwort, "sonst
würde ich sie auch nicht so geliebt haben!"
"Lieben!" verbesserte ihm das Elfenheimchen.
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