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Das
Heimchen am Herde
Drittes
Gezirpe.
Weihnachtserzählung
von Charles Dickens - Seite 5
Übersetzer: Richard Zoozmann
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Kapitelanfang der Weihnachtserzählung ]
sie ihm dann alle zugleich bittend ins Gesicht und während einige von
ihnen Dot liebkosten und ihre Kleidung in Ordnung brachten, schienen sie ihn zu
fragen: Ist dies das Weib, das dein Vertrauen getäuscht hat?
Noch mehr als einmal oder zweimal oder dreimal in der langen gedankenvollen
Nacht zeigten sie ihm Dot auf ihrem Lieblingsstühlchen mit gesenktem Kopf
und verwirrtem Haar, das Gesicht mit den Händen verhüllend, - ganz
so, wie er sie zuletzt gesehen hatte, und als er sie so sah, drehte sie sich
nach ihm um und blickte nicht auf ihn, sondern scharten sich um sie, schmiegten
sich an ihren Busen, trösteten und küssten sie , - ja sie ermunterten
sich gleichsam gegenseitig, ihr mit Teilnahme und Wohlwollen zu begegnen, und
vergaßen dagegen den armen Kärrner samt und sonders.
So verging die Nacht. Der Mond ging unter, die Sterne erbleichten, der kalte
Tag brach an, die Sonne ging auf. Noch immer saß der Kärrner
gedankenvoll in der Ecke am Kamin. Den Kopf in die Hände gestützt,
saß er da; die ganz Nacht hindurch hatte das treue Heimchen so Gezirpe
und Gesang vom Herde her erschallen lassen; die ganze Nacht hatte er seiner
Stimme gelauscht, die ganz Nacht hatten sich die holden Elfen, die
wohlwollenden Schutzgeister seines Herdes, mit ihm beschäftigt: - die
ganze Nacht hindurch war Dot ihm tadellos, liebenswürdig und schöner
als je im Spiegel erschienen, außer wenn jener einzige Schatten auf sie
fiel.
Als es heller war, stand er auf, wusch sich und kleidete sich an. Seine
gewohnten, heiteren und liebgewonnenen Berufsgeschäften konnte er heute
nicht nachgehen, denn es fehlte ihm an Mut dazu; doch hatte dies heute nichts
zu bedeuten, weil es ja Tackletons Hochzeit war, und er sich schon im voraus
einen Stellvertreter für sein Tagewerk bestellt hatte. Er hatte sich
vorgenommen, an Dots Seite vergnügt zur Kirche zu gehen: allein mit diesem
Planen war es jetzt vorbei. Heute war ja ohne dies ihr eigener Hochzeitstag:
aber ach, wie wenig hatte er gerade heute vor einem Jahre einen solchen
Jahresschluss erwartet!
Der Kärrner vermutete, Tackleton werde ihm schon am frühen Morgen
einen Besuch abstatten, und er irrte sich nicht. Er war noch nicht lange vor
seiner eigenen Tür auf und ab gegangen, so sah er den
Spielzeughändler in seiner Kutsche die Straße herunterfahren. als
der Wagen näher kam, sah er, dass Tackleton sich zu seiner Hochzeit
bereits ganz kostbar herausgeputzt und den kopf seines Pferdes mit Blumen und
Bandschleifen geschmückt hatte.
Das Pferd sah weit eher wie ein Bräutigam aus als Tackleton, dessen
halbgeschlossenes Auge heute einen widerwärtigeren Ausdruck hatte als je.
Der Kärrner aber gab wenig acht darauf, denn seine Gedanken hatten eine
ganz andere Richtung genommen.
"John Peerybingle!" sagte Tackleton mit der Trauermiene eines
Leichenbestatters; - "guter Gevatter, wie steht es mit Euch heute
früh?"
"Ich habe eine sehr schlechte Nacht gehabt , Meister Tackleton",
versetzte der Kärrner kopfschüttelnd; - "denn ich bin ganz aus
meiner gewöhnlichen Stimmung aufgestört und an mir selber irre
geworden. Nun ist's aber vorüber! Könnt Ihr mir etwa ein halbes
Stündchen zu einer Unterredung unter vier Augen vergönnen?"
"Ich kam eben in dieser Absicht hierher," erwiderte Tackleton, aus
dem Wagen steigend; - "kümmert Euch nicht um das Pferd! Es wird ruhig
stehen bleiben, wenn Ihr die Zügel über diesen Pfosten hängt und
ihm eine Hand voll Heu gebt!"
Als ihm der Kärrner dies aus dem Stalle gebracht und vorgeworfen hatte,
begaben sie sich beide ins Haus.
"Ihr werdet wohl vor Mittag noch nicht getraut, denk ich?" fragte
John.
"Nein!" gab Tackleton zur Antwort; - "ich habe Zeit genug
übrig - Zeit im Überfluss!"
Als sie in die Küche traten, polterte Tilly Döskopp eben an der
Tür des Zimmers, das der Fremde bewohnte, und das nur ein paar Schritte
von dort entfernt war. Eins ihrer stark geröteten Augen (denn Tilly hatte
die ganze Nacht hindurch geweint, weil sie ihre Herrin weinen hörte) war
am Schlüsselloche und sie pochte sehr laut und schien höchst
bestürzt.
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