|
|
Das
Heimchen am Herde
Zweites
Gezirpe.
Weihnachtserzählungen
von Charles Dickens - Seite 14
Übersetzer: Richard Zoozmann
|
|
|
[
zurück zum
Kapitelanfang der Weihnachtserzählung ]
Marie gab weder in Gutem noch in Bösem ein Wörtchen von sich, sondern
saß ganz stille und nahm an allem, was um sie her vorging, auch nicht den
mindesten Anteil. Ihre Mutter, die gute Dame, schlug sich jetzt ins Mittel mit
der Bemerkung: erstens seien Mädchen Mädchen, und vergangen sei
vergangen, und solange junge Personen noch jung und leichtsinnig seien,
würden sie sich vermutlich auch wie junge und leichtsinnige Personen
betragen - nebst noch etlichen anderen Erfahrungssätzen von nicht minder
folgerichtiger und unbestreitbarer Art. Alsdann bemerkte sie mit sehr frommer
Miene, sie danke dem Himmel, dass er sie an ihrer Tochter Marie stets ein
gehorsames, gutes Kind habe finden lassen, womit sie sich eigentlich gar nicht
rühmen wolle, obwohl sie alle Ursache habe zu glauben, dies rühre
ganz allein von der Erziehung her, die sie ihrer Tochter gegeben hätte.
Was nun Mr. Tackleton anbelangte, meinte sie, sei er vom moralischen
Gesichtspunkte aus ein ganz untadelhafter Mensch, und in Beziehung auf seine
Befähigung zum Ehemann werde ihr gewiss niemand bestreiten können,
dass er in jeder Hinsicht ein ganz trefflicher Tochtermann für sie sei.
(Darauf legte sie auch einen ganz besondern Nachdruck.)
In betreff der Familie, in die Mr. Tackleton nach unterschiedlichen Bedenken
nun bald aufgenommen werden solle, setzte sie voraus Herr Tackleton wisse, dass
sie trotz ihren herabgekommenen Vermögensumständen doch noch einigen
Anspruch auf vornehme Abkunft habe; und dass, wenn gewisse Umstände, die -
sie wolle es hier nur kurz berühren - mit dem Indigohandel
zusammenhängen, ein anderes Ende genommen hätte, ihre Familie jetzt
vielleicht im erwünschtesten Wohlstande wäre.
Hierauf bemerkte sie, sie wolle nicht auf die Vergangenheit anspielen und nicht
davon reden, dass ihre Tochter eine Zeitlang Mr. Tackletons Bewerbungen
ausgeschlagen habe; sie wolle auch nicht von manchen andern Dingen reden - die
sie gleichwohl noch des langen und breiten berichtete. Schließlich gab
sie noch als allgemeines Ergebnis ihrer Beobachtungen und Erfahrung zum Besten,
dass die Ehe stets die allerglücklichsten seien, wobei am wenigsten von
dem ins Spiel komme, was man romantischer- und törichterweise Liebe nenne;
und dass sie von der bevorstehenden Heirat den größtmöglichen
Grad von Glück erwarte - nicht von überschwänglichem ,
phantastischem Glück, sondern von der dauerhaften, anhaltenden Gattung.
Zu guter Letzt setzte sie noch die Gesellschaft davon in Kenntnis, dass morgen
der Tag sei, für den sie ausdrücklich gelebt habe, und dass sie, wenn
er vorüber sei, keinen andern Wunsch hege, als ihr Bündel
schnüren zu dürfen, um nach irgend einem standesgemäßen
Begräbnisplatze gebracht zu werden.
Da diese Bemerkungen über allen Widerspruch erhaben waren und eine
Erwiderung gar nicht bedurfte, eine glückliche Eigenschaft, die allen
Erörterungen zukommt, die sich in genügender Entfernung vom
Gegenstand der Rede halten - so änderten sie auch den Standpunkt des
Gesprächs und lenkten die allgemeine Aufmerksamkeit auf die
Fleischpastete, die kalte Hammelkeule, die Kartoffeln und die Torte. Damit die
Bierflaschen nicht vergessen würden, brachte John Peerybingle einen
Trinkspruch auf morgen als den Hochzeitstag aus und bat die Anwesenden, mit ihm
ein Glas zu Ehren des festlichen Tages zu leeren, bevor er seine Wanderung
weiter fortsetze.
Ihr müsst nämlich wissen, dass John hier nur eine kurze Rast machte,
und seinem alten Gaule etwas Salz und Brot vergönnte. Er hatte wenigstens
noch fünf bis sechs Meilen zurückzulegen, wollte abends auf dem
Rückwege Dot hier abholen und dann abermals eine kurze Rast im Hause
machen, bevor er den Rest des Heimweges zurücklegte. Das war die
Tagesordnung für jede Picknickpartie, und war seit deren Errichtung jedes
Mal getreulich befolgt worden.
Außer Braut und Bräutigam waren aber noch zwei Personen unter den
anwesenden, die den Trinkspruch sehr gleichgültig aufnahmen. Die eine
davon war Dot, die allzu verlegen und aufgeregt war, um sich in den
unerwarteten Zwischenfall finden zu können; die andere war die arme Berta,
die eilends und noch vor den übrigen aufstand und den Tisch verließ.
|
|
|