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Das
Heimchen am Herde
Zweites
Gezirpe.
Weihnachtserzählungen
von Charles Dickens - Seite 19
Übersetzer: Richard Zoozmann
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Kapitelanfang der Weihnachtserzählung ]
sie ihm mehr Punkte vorstreckte, als sie eigentlich hätte dürfen,
musste er so auf seiner Hut sein, dass er weder Augen noch Ohren für etwas
anderes hatte. So wurde seine ganze Aufmerksamkeit allmählich von dem
Kartenspiel in Anspruch genommen, und er dachte an nichts anderes mehr, bis ihm
Tackleton endlich eine Hand auf die Schulter legte, und sich ihm ins
Gedächtnis rief.
"Es tut mir leid, dass ich Euch stören muss, John - aber schenkt mir
nur auf einen Augenblick Gehör!" sagte Tackleton. "Ich muss eben
ausspielen," versetzte der Kärrner; - "ist es eine Sache von
Bedeutung?"
"Allerdings," gab der Spielzeughändler zur Antwort; -
"kommt nur auf einen Augenblick mit mir, Gevatter!"
Es lag etwas in Tackletons bleichem Gesicht, das den andern plötzlich
aufspringen machte und zu der eiligen Frage veranlasste, was es denn eigentlich
gäbe?
"Nur stille, John Peerybingle!" sagte Tackleton; - "es tut mir
leid für Euch, mein Wort darauf. Ich bin ordentlich darüber
erschrocken, allein ich hab's vom Anfang an vermutet." "Was gibt es
denn, Sir?" fragte der Kärrner mit ganz verstörter Miene.
"Nur stille, Gevatter! Ich will Euch alles zeigen, wenn Ihr mit mir gehen
wollt!"
Der Kärrner begleitete ihn, ohne ein Wort weiter zu sagen. Sie gingen
über einen Hof, auf den die Sterne freundlich herabschienen, dann traten
sie durch ein kleines Seitentürchen in Tackletons Kontor, von wo sie durch
eine Glastür in das Warenlager schauen konnten, das der Nacht wegen
bereits verschlossen war. Im Kontor selbst war kein Licht, aber in dem langen,
schmalen Laden hingen mehrere Lampen und verbreiteten eine ziemliche Helle bis
zum Fenster her.
"Wartet noch einen Augenblick!" sagte Tackleton; - "glaubt Ihr,
Ihr könnt es Euch gewinnen, durch das Fenster da zu blicken?"
"Warum denn nicht?" meinte der Kärrner.
"Wartet nur noch einen Augenblick!" wiederholte Tackleton; -
"begeht ja keine Gewalttat, es nützt ja doch nichts und ist nur
gefährlich für Euch. Ihr seid ein starker Mann und könntet einen
Mord begehen, bevor Ihr Euch's nur einfallen lasst!"
Der Kärrner blickte ihm ins Gesicht und bebte einen Schritt zurück,
als ob er von einem Streich getroffen wäre. Mit einem einzigen Schritt
stand er dann an dem Fensterchen und sah . . . O welch ein Schatten auf dem
Herde! O treues Heimchen! O treuloses Weib!
Er sah sie hier mit dem alten Mann beisammenstehen, aber der war nun nicht mehr
alt, sondern stand gerade und kräftig da und trug in der Hand die falsche
weiße Perücke, mittelst derer er sich den Weg in das nun öde
und unglückliche Haus gebahnt hatte. John sah, wie sie ihm zuhörte,
als er den Kopf herabbeugte, um ihr ins Ohr zu flüstern; er sah, wie sie
litt, dass er sie um die Hüfte fasste, als sie langsam miteinander die
dämmernde Holzgalerie hinabschritten, der Tür zu, durch die sie
hereingetreten waren. Alsdann sah er sie stille stehen - sah wie sie sich
umwandte - seine eignen Augen mussten in das Gesicht blicken, das er so sehr
liebte - er sah, wie sie mit eigenen Händen dem Fremden das
lügnerische Haar wieder auf den Kopf drückte und da zu lachte, als
verhöhne sie seine eigene Arglosigkeit!
Er ballte zuerst seine kräftige Rechte, als ob er damit einen Löwen
niederschmettern wollte. Dann aber öffnete er sie rasch wieder, denn er
liebte sie sogar jetzt trotz ihrer Verfehlung; - als sie aber draußen
waren, sank er auf einen Pultsessel nieder und war so schwach wie ein Kind.
Er hatte sich bis ans Kinn zugeknöpft und machte sich mit dem Pferde und
den Paketen zu tun, als sie wieder ins Zimmer trat und zur Heimfahrt
gerüstet war.
"Nun, lieber John, lass uns aufbrechen! Gute Nacht, Marie! Gute Nacht,
Berta!" rief Dot.
Konnte sie die Freundinnen küssen? Konnte sie beim Abschiede fröhlich
und wohlgemut sein? Konnte sie es wagen, ihnen ihr Angesicht zu zeigen ohne zu
erröten? Ja, sie konnte es. Tackleton beobachtete sie scharf, und sie tat
das alles.
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