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Das
Heimchen am Herde
Zweites
Gezirpe.
Weihnachtserzählungen
von Charles Dickens - Seite 5
Übersetzer: Richard Zoozmann
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Kapitelanfang der Weihnachtserzählung ]
glücklich, als Sie es nur immer für mich wünschen könnten -
so glücklich, als Sie die ganze Welt machen würden, wenn es in Ihrer
Macht stünde!"
"Armes, blödsinniges ding!" brummte Tackleton; - "kein
Fünkchen Verstand, in der Tat kein Fünkchen!"
Das blinde Mädchen ergriff seine Hand und küsste sie; hielt sie dann
eine Weile zwischen ihren eigenen beiden Händen und führte sie noch
zärtlich an ihre Wange, bevor sie sie losließ. Es lag eine so
unaussprechliche Liebe und innige Dankbarkeit in diesem Benehmen, dass
Tackleton selbst einigermaßen davon ergriffen wurde und minder
sauertöpfisch als sonst die Frage tat:
"Was hast du denn?"
"Ich stellte es gestern Abend dicht neben mein Kopfkissen, als ich zu
Bette ging, und träumte die ganze Nacht davon; und als der Tag anbrach und
die glorreiche rote Sonne . . . nicht wahr, Väterchen, die Sonne ist rot?
. . . "
"Rot am Morgen und am Abend, Berta!" versetzte der arme Kaleb, und
warf einen wehmütigen feuchten Blick auf seinen Brotherrn.
"Und als die rote Sonne aufstieg und das helle, glänzende Licht, an
dem ich mich fast zu stoßen fürchte, ins Zimmer strahlte, da drehte
ich ihm das kleine Bäumchen zu und segnete den Himmel, der so schöne
Dinge erschaffen hat, und pries Sie, der Sie das Rosenstöckchen zu einem
Angebinde für mich hierher gesandt hatten! Ach es hat mir vielen Trost
gewährt!"
"Das Tollhaus ist los!" sagte Tackleton zu sich selber; - "es
fehlt nicht mehr viel, so muss man ihr Zwangsjacke und Handschellen anlegen. Es
wird immer schlimmer mit ihr." Kaleb, der die Hände leicht gefaltet
hatte, stierte gedankenlos vor sich hin, während seine Tochter sprach, als
ob er in der Tat mit sich in Zweifel gewesen wäre - und ich bin
überzeugt, er war's - ob Tackleton etwas getan habe, um ihren Dank zu
verdienen oder nicht. Hätte man ihm in diesem Augenblicke vollkommen freie
Wahl gelassen, ob er entweder straflos den Spielwarenhändler umbringen
oder ihm für seine Wohltaten zu Füßen fallen wolle, ich glaube
er hätte es geradezu dem Zufall anheimgestellt, welchen Weg er eigentlich
einschlagen solle. Und doch wusste Kaleb, dass er mit seinen eigenen
Händen das kleine Rosenstöckchen für sie nach Hause gebracht und
ihr damit eine Freude bereitet hatte, und dass er ihr mit seinem eigenen Munde
die unschuldige Täuschung beigebracht hatte, infolge deren sie nie
argwöhnen sollte, wie viel, ja wie unendlich viele Entbehrungen er sich
täglich auferlegte, damit sie desto glücklicher sei.
"Berta", sagte Tackleton und nahm für den Augenblick einen
herzlicheren Ton an, - "komm' einmal her!"
"O," versetzte sie; "ich kann ganz gerade zu Ihnen hinkommen!
Sie brauchen mich gar nicht zu führen!"
"Soll ich dir ein Geheimnis mitteilen, Berta?" fragte Tackleton.
"O ja, wenn Sie so gut sein wollen!" entgegnete sie hastig. O wie
erglänzte da das Gesicht mit den armen, lichtlosen Augen! Wie freundlich
strahlte der hinhorchende Kopf von innerem Lichte!
"Nicht wahr, heute ist der Tag, an dem euch das kleine Dings da, das
verzogene Kind, Peerybingles Weib, ihren gewöhnlichen Besuch macht? Wo sie
Euch gewöhnlich den närrischen Picknick gibt?" fragte Tackleton
mit unverkennbarem Ausdruck des Missfallens an der ganzen Sache.
"O ja!" versetzte Berta, "heute ist der Tag!"
"Ich dacht mir's doch gleich!" sagte Tackleton; - "je nun, es
wäre mir lieb, wenn ich an der Gesellschaft teilnehmen dürfte!"
"Hast du es gehört, Väterchen?" rief das blinde
Mädchen in namenlosem Entzücken.
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