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Am See und im Schnee

I. Am See.

Weihnachtsgeschichte von Heinrich Seidel - Seite 10

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Glasscherbe diamantartig blitzte, und auf das ferne Braunsberg, das auf bewaldetem Hügel gelegen, mit roten Dächern aus den Baumwipfeln hervorschien. Nun wieherte Rustan, der seine Herrin erblickte und schon eine Weile vor Ungeduld emsig den Waldboden gescharrt und gestampft hatte; zugleich schwamm der dünne Klang der Mittagsglocke durch die hellhörige Luft; es war zwölf Uhr. - "In einer halben Stunde muss ich zu Hause sein," sagte Hella, und beide begaben sich zu dem ungeduldigen Pony. Fritz führte ihn in den Weg, dann setzte Hella den schlanken Fuß in seine Hand, er half ihr in den Sattel und gab ihr die Zügel. Sie zögerte noch eine Weile und blickte auf den Kopf des Pferdes, das mit dem einen Vorderhufe den Boden zierlich scharrte und mit dem Schweife die Schenkel peitschte. Dann reichte sie Fritz zum Abschiede die Hand. "Heißt es, auf Wiedersehen?" fragte dieser. Sie antwortete nicht, sie sah ihn nicht an, sonder beugte sich vornüber, dass ihr Kopf fast die Mähne des Pferdes berührte, und in demselben Augenblick schoss das muntere Pony mit ihr davon. Fritz blickte ihr nach, wie sie auf dem Wege am Rande des Waldes in eiligem Trabe dahinritt, und wie sie dann in den breiten Landweg einbog, der grade auf Braunsberg zuführte. Dieser war von alten Haselhecken eingefasst, und durch eine Lücke ward noch zuweilen die schlanke Reiterin sichtbar, oder wo die Büsche niedriger waren, schwebte ihr Köpfchen mit wehendem Schleier darüber hin. Dann schob sich ein Hügelhang vor den Weg, und nun war nichts weiter sichtbar als die sonnige Einsamkeit des klaren Herbstmittages. Die Sommerfäden zogen fast unmerklich dahin, auf dem Acker blitzten und funkelten die Scherben, weiterhin über dem satten Grün des Wiesengrundes revierte ein Bussard, zuweilen mit rüttelndem Flügelschlage an einer Stelle verweilend, aus dem Schornsteine des Herrenhauses von Braunsberg stieg kerzengerade eine schmale Rauchsäule in die ruhige Luft und von den fernen dämmernden Höhen der Elbberge schimmerte in zartem Umriss die Kirche von Borna herüber.
Fritz kehrte langsam auf demselben Wege, den beide vorhin gegangen waren, durch den Wald zurück. Als er an der Stelle angekommen war, wo er Hella aus ihren Fesseln befreit hatte, nahm er den abgeschnittenen Dornbusch auf und betrachtete ihn liebevoll und sorgfältig. Als er einige Zeit später durch den Garten von Wildingshagen auf sein Vaterhaus zuschritt, trug er ihn noch in der Hand.
Dass am nächsten Vormittage Fräulein Hella Maifeld auf ihrem gewohnten Spazierritte wieder an dem Vogelsang vorüberkam, wo Herr Fritz Dieterling bereits seit einer Stunde nachdenklich und zuweilen in die Ferne spähend umherwandelte, ist einer jener merkwürdigen Zufälle, durch die die Geschicke der Einzelwesen sowohl als der Völker so oft in bestimmten Bahnen gelenkt werden. Wer nun aber wissen will, was an diesem und den folgenden Tagen jenes schönen Herbstes unter der alten, mächtigen Eiche auf dem Vogelsang geschehen ist, der muss hingehen und einen alten Waldkauz befragen, der schon seit vielen Jahren in einem schönen, geräumigen Astloch dieses Baumes seinen Wohnsitz hat. Denn dieser weise Vogel hat alles mit angesehen und angehört von dem Augenblicke an, wo er sich verwundert über den Klang menschlicher Stimmen in seiner Nähe ein wenig vorbeugte und mit seinen runden Eulenaugen auf das junge, schöne Menschenpaar nieder blickte, bis zu jener Stunde, da an einem grauen Nebeltage zwei Wochen später dasselbe Paar unter Küssen und Tränen voneinander Abschied nahm. Von den bei dergleichen Gelegenheiten üblichen und so beliebten Schwüren ewiger Treue hat der kluge Vogel aber nichts vernommen, denn solches hielten die beiden jungen Leute für selbstverständlich und keiner Beteuerung bedürftig. Fritz Dieterling ging wieder auf die landwirtschaftliche Hochschule, die er bereits vor dem Kriege besucht hatte, und erst zu Weihnachten war ein Wiedersehen zu erwarten. Jedenfalls würden sie auch dann eine Gelegenheit finden, sich zu sehen, und zur Sicherheit ward der Morgen des ersten Weihnachtstages für eine Zusammenkunft auf dem Vogelsang festgesetzt.
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Am See und im Schnee:
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Weihnachtsgeschichte: Am See und im Schnee - Am See.


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