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Das Christkindlein

Weihnachtsgeschichte von Karl Heinrich Caspari - Seite 2

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Der Andres nämlich war voriges Jahr um diese Zeit auf einer Bettelfahrt mit seiner Mutter ins Dorf gekommen, und seine Mutter war krank und im Hirtenhause gestorben gerade am heiligen Abend, und als ein paar Stunden hernach im Pfarrhause die Christbescherung anging, wartete die Pfarrerin voller Neugierde auf ihr "Christkindlein", - denn der selige Pfarrer hatte ihr was ganz Besonderes versprochen. Und als nun der Pfarrer und die Pfarrerin und der alte Präzeptor und die Kinder und der Knecht und die Magd gesungen hatten: Vom Himmel hoch da komm ich her! Und zur Türe der Weihnachtsbaum mit den Honigkuchen und Äpfeln und vergoldeten Nüssen hereingebracht wurde, kam hinter dem Weihnachtsbaum der kleine Andres daher, und der Pfarrer nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu seiner Ehehälfte und sagte: Das ist dein Christkindlein! Und als die Pfarrerin einen Schrecken bekommen und große Augen machen wollte, sagte er: Wir haben zu lange schon gebetet: Komm, Herr Jesu, sei unser Gast, um, wenn er kommen wollte, ihm die Türe zu weisen, und heute würden wir es wohl am allerwenigsten tun; hier aber kommt er, denn er spricht: Wer ein Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf! -
Darauf gab sich die Pfarrerin zufrieden, wusch, säuberte und kleidete den kleinen Andres, und am Tische, wo die acht eigenen Kinder saßen, war gerade noch ein Platz für das neunte übrig, das Christkindlein, und manch frommes, gutes Wort fiel auch noch ab für das verwahrloste, hergelaufene Bettelbübchen, und so war das Kind im Hause geblieben, und war ihm wohl gewesen.
Aber jetzt? - Jetzt war der gute Pfarrer tot, und seine ganze Hinterlassenschaft waren gewesen viele große Bücher und viele kleine Kinder, und der Schwiegervater hatte gemeint, seiner Tochter, der Pfarrerin, und ihrer Kinder wolle er sich wohl nach Kräften annehmen, das fremde Kind aber müsse nun anderwärts nach barmherzigen Menschen suchen, und auf den Weg könne er ihm nichts mitgeben, als ein "helf dir Gott!" Und im Grund wär`s eigentlich besser gewesen, wenn der Pfarrer schon damals mit dem Kind es so gehalten, als dessen Mutter gestorben, da wäre es doch nicht der guten Tage gewohnt worden und müsste nicht erst wieder lernen, Bettelbrot zu essen, - denn das sei leichter vergessen als wieder gelernt. - Der Andres hatte den Bescheid mit angehört, als sie seinen Pflegevater eben aufs Stroh gelegt hatten und der Schwiegervater gekommen war, die Hinterbliebenen zu trösten, und darum war`s ihm nicht wohl, sondern gar eng und weh und weich ums Herz.
Der Vetter Weigand in Michelstadt war auch sehr traurig, aber aus einem andern Grund. Am heiligen Abend vor dem Christtag des verflossenen Jahres hatte er von dem seligen Pfarrer Gerner einen schönen Brief bekommen, und als er jetzt die Todesnachricht erhielt, suchte er den Brief hervor und las ihn wieder. Er lautete:
Eschau, am Tag vor dem heiligen Christfest 1737
Insonderheit geliebter Herr Vetter!
Wie seit dem Ableben unserer alten Base Haagin ein Streithandel sich zwischen uns erhoben und selbiger durch hoher Obrigkeit Spruch für mich einen guten Ausgang gewonnen, desgleichen wie seitdem Hass und Misstrauen viel mehr denn brüderliche Liebe und Treue zwischen uns beiden bestanden, ist Ihm wohl kund und bewusst, gleichwie auch mir.
Sei Ihm nun aber auch das kund und zu wissen, wie heute vor 1737 Jahren der Herr Christus ist geboren worden, ein Seligmacher für Ihn und für mich, und dass die lieben Engelein, so damals auch auf die Erde kommen, nicht der Meinung gewesen, als ob Er und ich, des Herrn Erlöste, mit einander hadern sollten und Streithändel einander nachtragen, sondern sie haben gesungen: Fried auf Erden! Lieber, lass nicht länger Zank sein zwischen mir und dir, denn wir sind Gebrüder, - Gebrüder in Christo Jesu! Es wird uns nicht fein anstehen, wenn wir heute oder morgen dem Herrn ein Loblied singen, der uns geliebt und zu uns gekommen ist, da wir seine Feinde waren, und wollen doch einander nicht von Herzen lieben und vergeben, gleichwie Er uns geliebt und vergeben hat. Wir wissen auch nicht, ob nicht etwa der Heiland in dem kommenden Jahre den einen oder den andern gehen heißt aus diesem Jammertal, und wo wir alsdann einen seligen Gang zu tun vermeiden, so wissen wir, dass wir danach
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