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Eine
Weihnachtsgeschichte
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel - Seite 3
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fällt ins Zimmer. "An Eduard" ist`s adressiert. Viel Papier
fliegt hastig abgerissen zu Boden und Helene macht sich durch eine verhehlte
Spannung verdächtig. Endlich kommt ein zierlich in Perlen gesticktes
Hausschlüsselfutteral zum Vorschein. "Von dir, Helene?"
"Nur aus Bosheit," ist die antwort, "weil ich weiß, dass
du gestickte Sachen verabscheust."
"Das musst du anerkennen," sagt Tante Amalie, "es ist eine sehr
mühsame Arbeit, sie hat drei Wochen daran gearbeitet." - "Ach,
nicht doch," meint abwehrend Helene. - "Ich will es dir zu Ehren alle
Abende benutzen," sage ich. - Dagegen protestiert nun aber die Mutter:
"Was, ihr wollt meinen Ältesten auf Abwegen bringen?!" - Wieder
geht die Türe auf, wieder eine andere Nuance von Dorotheas
wandelfähigem Organ: "Julklapp!" und eine große Kiste wird
hereingeschoben mit der Adresse: "An Helene." Diese sieht mich voller
Verdacht von der Seite an. "Darin ist gewiss eine große
Schändlichkeit von dir," meint sie, "ich mache es gar nicht
auf," aber sie hat schon den Deckel der Kiste abgeschoben. Ein
mächtiges Packet, in Papier gesiegelt, kommt zum Vorschein. Aus dem Papier
entwickelt sich eine zweite Kiste. Helenchen wird ganz aufgeregt, denn in
dieser Kiste steckt wieder eine und so fort, die Papiere fliegen umher und das
ganze Zimmer steht voller Kisten. "Es ist abscheulich," sagt Helene,
"gerade wie in dem Märchen von der alten Frau, die ein Haus hatte und
in dem Hause eine Kammer und der Kammer einen Schrank und in dem Schrank eine
Kiste und in der Kiste wieder eine Kiste und so fort und in der letzten eine
Schachtel und so weiter, und in der letzten kleinsten Schachtel war ein
Papierchen wieder ein Papierchen, und in dem allerletzten Papierchen ein
Pfennig, der war ihr einziges Vermögen." Endlich kommt ein runder in
Seidenpapier gewickelter Gegenstand zum Vorschein. "Nun geht`s los!"
rufen alle. Es ist aber nur eine runde, große Apothekerschachtel. Das
Seidenpapier fliegt, eine Schachtel nach der andern kommt hervor, die Spannung
wird fast unerträglich. Endlich in der zehnten Schachtel ein kleiner
schwerer, in Papier gewickelter Gegenstand. "Das ist der Pfennig!"
ruft Helene, "die gute, alte Frau schenkt mir ihr ganzes Vermögen zu
Weihnachten!" Es ist aber kein Pfennig, sondern ein kleines, zierliches,
goldenes Kreuz an einer feinen Kette. "Gerade wie ich es mir
gewünscht habe!" ruft Helene verwundert, und ein fragender Blick
trifft mich. Ich nicke und mit einem Male hat sie meine Hand mit ihren beiden
erfasst und schaut mir herzhaft in die Augen. "Ich danke dir,
Eduard." - "So freundlich hast du mich lange nicht angesehen,
Helene." - "Wenn du immer ein artiges Kind bist, antwortete sie,
"so wirst du noch öfter freundlich angesehen."
"Julklapp!" tönt es wieder in Dorotheas höchsten
Fisteltönen; sie sucht uns offenbar einzubilden, dass sich ein ganzes Heer
von verschiedenen Geschenkspender draußen ablöst. Da man jedes Mal
vor dem Julklappruf die Haustürklingel hört, so habe ich sie sogar im
Verdacht, dass sie zur größeren Wahrscheinlichkeit ihrer
oratorischen Darstellung jedes Mal die Treppe hinabläuft, zuvor einen
Eintretenden zu fingieren. - Die Julklappen nehmen endlich ein Ende und
Dorothea tritt nun selbst ein, ganz rot im Gesicht von der Anstrengung, aber
harmlos, als wisse sie von nichts, um auch ihr bescheidenes Weihnachtskistchen
aufzusuchen.
Allmählich brennen die Wachskerzen nieder und eine nach der andern
erlischt knisternd in dem Nadelwerk des Baumes. Nach der festlichen Aufregung
ist eine beschauliche Stille eingetreten. Die beiden Jungen haben sich
über die bescherten Bücher hergemacht und blättern vorkostend
darin umher. Im Nebenzimmer hört man die Stimmen der Mutter und der Tante
Amalie, die im Hinblick auf das morgige Festgericht in einen interessanten
Meinungsaustausch über die Anwendung von saurer Sahne verwickelt sind.
Polly und Murr liegen wohlbehaglich an ihren Lieblingsplätzen, im
innersten Gemüt befriedigt, ihre Weihnachtsbescherung verdauend, und ich
habe mich in meine dunkle Weihnachtslieblingsecke auf den Lehnstuhl hinter dem
Tannenbaum zurückgezogen. Dort schweifen meine Blicke bald in das
grüne, nur noch stellenweise beleuchtete Geäst des Weihnachtsbaumes
nach den niederbrennenden Lichtern, bald nach Helene, die, noch immer
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