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Lang,
Lang ist`s her.
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel - Seite 6
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Anfang der Weihnachtsgeschichte ]
Vorleben gegen diese spricht, so dürfen Sie nicht im Hinblick auf das, was
möglicherweise sein könnte, mir Ihre Einwilligung verweigern."
"Setze ich in die Lotterie, so bin ich ein Thor," sagte Herr Bolten,
"wenn ich mit Sicherheit auf das große Los hoffe. Übrigens
glaube ich jetzt Ihnen gegenüber meiner Pflicht genügt zu haben, ich
spreche Ihnen schließlich mein Bedauern aus, dass ich in dieser Sache
Ihnen nicht dienen kann, und bitte, die Angelegenheit hiermit als abgeschlossen
zu betrachten."
Leonards Blut war längst in Wallung geraten. In dem Gefühl, dass
dieser eingefleischten, schrullenhaften Theorie des alten Bolten mit
Gründen nicht beizukommen sei, und mit dem festen Vorsatz, den Kampf nicht
aufzugeben, griff er zu andern Mitteln. "Ich will von mir nicht
reden," sagte er, "aber nehmen wir an, dass Ihre Tochter mich
wirklich liebt mit der ganzen Kraft ihres Herzens, wollen Sie ihr ganzes
Lebensglück einer Theorie opfern? Wie wollen Sie das verantworten, was Sie
jetzt tun, wenn Sie das Herz Ihrer Tochter gebrochen haben um einer Einbildung
willen?"
Herr Bolten sprang auf, heftig und erregt: "Ich mag diese alte Phrase von
den gebrochenen Herzen nicht hören, das ist nichts als phantastische
Übertreibung. Ich kenne das wohl, man wird blass, man härmt sich, das
Leben ist eine Last, man will daran sterben. Aber es ist eine Krankheit, und
sie geht vorüber. Meine Tochter müsste wenig vom Blut ihres Vaters
haben, - eine Bolten stirbt nicht an gebrochenem Herzen. Ich will nun einmal
nicht, dass meine Tochter das hangende, bangende, ewig ruhelose Leben teilen
soll, das Ihnen unwiderruflich verhängt ist, denn dies ist überall,
wo es gilt, einen Ruhm zu steigern und zu bewahren. Wenn Sie ein Mann
wären mit einer soliden, tüchtigen bürgerlichen
Beschäftigung, ich würde Ihnen meine Tochter nicht verweigern, und
wenn Sie keinen Pfennig im Vermögen hätten."
"ich will Ihnen etwas sagen," fuhr er fort und pflanzte sich mit
unterschlagenen Armen vor Leonard auf, "satteln Sie um, werden Sie
Kaufmann. Sie haben das Zeug dazu. In einem Jahre lernen Sie unter meiner
Leitung alles, was Sie brauchen. Vielleicht macht es sich dann mit der Firma
Bolten und Brunn. Sie lächeln, ich wusste es wohl. Gut, ich habe meine
Nachgiebigkeit bewiesen, ich bin mit dieser Angelegenheit fertig. So lange Sie
Musiker sind, niemals!"
Leonard war auf das Äußerste gebracht und rief: "Gut, so
hören Sie auch mein vorläufiges Schlusswort in dieser Angelegenheit.
Sie haben mir meinen Antrag aus Gründen zurückgewiesen, die keine
sind. Sie opfern zu Gunsten einer Schrulle das Glück Ihres Kindes. Sie
sind hartköpfig und starr, ich bin es auch. Sie wollen mir Ihre Tochter
nicht geben, ich werde sie nicht lassen. Und wahrlich, das sage ich Ihnen, Ihre
Tochter wird meine Frau mit oder gegen Ihren Willen, so wahr ich Leonard Brunn
heiße!"
"Wo haben Sie Ihren Revolver, junger Mann?" rief Herr Bolten,
"das wäre modern, das wäre amerikanisch. Als letztes Mittel dem
zukünftigen Schwiegervater die Pistole auf die Brust gesetzt: 'Die Tochter
oder das Leben!' Den Teufel auch, mein Herr, meine Tochter gehört mir, und
Sie bekommen sie niemals, so wahr ' ich ' Andreas '"
Vom Hofe herauf klangen plötzlich die Töne einer Drehorgel, es war
die Melodie des alten schottischen Liedes: "Lang, lang ist's her."
Herr Bolten vollendete seinen Satz nicht, es war, als ob diese Töne die
Worte von seinen Lippen nähmen. Ein eigentümlicher, wehmütiger
milder Zug verwischte den Zorn aus seinem Antlitz, er ging zu seinem
Schreibpult, wickelte ein Geldstück in Papier, öffnete das Fenster
und warf es hinaus. Dann fielen seine Blicke auf einen grünseidenen
Vorhang an der Wand, der ein Bild zu verhüllen schien, und hafteten
nachdenklich darauf.
Leonard, der bereits an der Tür stand, sah ihm verwundert zu. Dann wollte
er sich zurückziehen, denn die Sache war einstweilen doch so gut wie
verloren.
Der Alte bemerkte es. "Gehen Sie noch nicht," sagte er, und ein
weicherer Klang war in seiner Stimme, "ich habe Ihnen noch etwas zu sagen.
Wollen Sie mir versprechen, während der nächtigen Zeit sich meiner
Tochter nicht zu nähern und keinen Versuch machen, sie zu sprechen?"
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