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Lang,
Lang ist`s her.
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel - Seite 7
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Anfang der Weihnachtsgeschichte ]
"Wir leben im Kriegszustande," sagte Leonard, "alle Mittel
gelten, ich verspreche nichts."
"Sie werden es tun," sprach Herr Bolten mit fester Stimme, "wenn
ich erkläre, meine Worte von vorhin einstweilen zurücknehmen. Ich
bitte mir bis morgen Bedenkzeit aus."
"In diesem Falle, ja!" erwiderte Leonard.
"Ich danke Ihnen, Herr Musikdirektor, also bis morgen."
Eine stumme Verbeugung, und Leonard verließ den Kampfplatz.
Herr Andreas Bolten blieb eine Weile stehen und sag nachdenklich die Tür
an, durch welche der junge Mann verschwunden war. "Ein verfluchter Kerl
ist er doch," murmelte er, "ein ganz heilloser Kerl, 'es ist Rasse
drin', würde Baron Spornitz sagen."
Unterdessen war der Mann auf dem Hofe noch immer beschäftigt, das
empfangene Geld musikalisch abzuarbeiten, und hatte es mindestens zum
zwölften Male schon "lange, lange her" sein lassen. Er war ein
ehrlicher Mann und wollte für das große Stück Geld auch ein
entsprechendes Quantum von Musik liefern. Herr Bolten ging ans Fenster und
winkte ihm ab.
Dann zog er den Vorhang beiseite, setzte sich in den Lehnstuhl und sah das Bild
an, das dahinter verborgen gewesen war. Es stellte seine verstorbene Frau dar
in der Schönheit ihrer Tugend. Man kann nicht sagen, dass Herr Bolten
sentimental war, aber er hatte eine Schwäche, wenigstens nannte er es oft
vor sich selber so, das war die Erinnerung an seine verstorbene Frau. Und diese
hing unwiderruflich mit dem eben gehörten Liede zusammen. Auch der
festeste Mann hat einen Punkt, den das härtende Drachenblut nicht
umpanzerte, weil ein Lindenblatt der Liebe darauf fiel. Für den Altern
waren diese Erinnerungen gerade in dieser Stunde von besonderer Bedeutsamkeit.
Das dies Lied in einem Augenblick ertönte, wo er schroff sein Wort gegen
ein anderes Wort setzen wollte, hatte ihn wie eine geisterhafte Mahnung
berührt. Er war im Begriff gewesen, ein Versprechen zu brechen, das er
einst in heiliger Stunde gegeben. Es war in Vergessenheit geraten; die lange
Zeit, die dahinter lag, hatte es verwischt, er hatte auch niemals daran
gedacht, dass einst eine Möglichkeit kommen könne, wo er es
erfüllen müsse. Nun kam zur rechten Stunde, im rechten Moment ein
Lied, das wie der Auslöser in einer Uhr das Räderwerk seiner Gedanken
entfesselte, bis schlagkräftig und bestimmt alles wieder vor seiner Seele
stand. Seine Frau war schön und jung, als sie ihm die Hand reichte. Sie
folgte nicht der eigenen Neigung, sondern dem Zwang ihrer Eltern, denn ihre
Liebe gehörte einem jungen, talentvollen Musiker, der arm und ohne
Stellung in der Welt war. Dieser verfiel nach ihrer Hochzeit, ist nicht
aufgeklärt, aus welchen Gründen, ob um seinen Schmerz zu
betäuben, ob aus Haltlosigkeit, in ein wüstes Leben und ging darin
unter. Die junge Frau schrieb alles natürlich dem ersten Grunde zu, und
anstatt sich mit Abscheu von ihm zu wenden, blieben die Regungen der Liebe und
des Mitleids bis an sein Ende für ihn wach. Sie unterstützte ihn und
Bolten wusste es. Er wusste aber auch, dass er seiner Frau vertrauen
könne. Aber es trat eine Wendung ein, die von eigentümlicher Wirkung
war, er fing an, seine Frau wirklich zu lieben. Diese Liebe steigerte sich zu
einer Höhe, die ihn selber beängstigte und die ihm die
unerträglichsten Qualen schuf. Zu willen, dass dieser verkommene Mensch
mehr Anspruch auf die Neigung seiner Frau habe als er, das trieb ihn oft fast
zum Wahnsinn. Von dieser Zeit her schrieb sich sein ungerechter Hass gegen die
Musiker. Er beschloss, seine Frau für sich zu erwerben. Mit rastloser
Geduld, mit nie aufhörender Sorge diente er um ihre Neigung. Und da seine
Liebe echt und treu, und vor allen Dingen, da er ein Mann war, gelang es ihm.
Alle Zartheiten und alle Liebe, der seine Natur fähig war, brachte er ihr
entgegen und nach langem Werben ward sie sein. Wie die Sonne nach langem,
regnerischem Wolkentag oft noch am Abend mit selig verklärendem Strahl
hervorbricht, so ward ihm noch eine kurze und glückliche Zeit zu teil.
Ein Jahr etwa nach dem Eintritt dieser späten Herzendvereinigung starb
seine Frau nach der Geburt eines Töchterleins. In der letzten Stunde nahm
sie ihm das Versprechen ab, bei dieser
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