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"Darf
ich heut Abend nicht ein bisschen hinaus?" hatte Margretchen
schüchtern gefragt, als Frau Bendel diesen Morgen fortgegangen war, nicht
zu einer großen Wäsche diesmal, es war ja heute Christabend; nur
aufwaschen und putzen sollte sie in einem vornehmen Haus.
"Warum nicht?" sagte die alte Frau, die selbst Mitleid hatte mit dem
verlassenen Kind. "Ich komme heut Abend wohl nicht so spät heim, will
dir auch einen Pfefferkuchen mitbringen; mit Bäumen und Lichtern kann ich
mich nicht einlassen; wenn d' nur etwas Gut's zu essen hast, so ist's Christtag
genug für dich."
So war denn Margretchen wieder allein gewesen den ganzen langen Tag. Leise,
leise fielen Schneeflocken fort und fort; alles war weiß zugedeckt, auch
der garstige schmutzige Hof, in den sie hinunter sah, bis es dunkel wurde. Es
war dem armen Kinde gar unbeschreiblich betrübt ums Herz. Sie musst soviel
an den Weihnachtsabend denken, wo sie hatte Christtagslichter austeilen
dürfen und wo der Vater ihr das schöne Bäumchen angezündet.
O, wie hatte sie das Heimweh nach den lieben Eltern! Einmal rief sie laut:
"Mutter!" aber dann fürchtete sie sich und war wieder ganz
still. Es war schon lange dunkel im Stübchen und Frau Bendel kam noch
immer nicht; sie konnte nichts dafür, es gab so gar viel zu tun in dem
vornehmen Haus. Seit Margret eingeschlossen wurde, hatte sie sich immer gleich
ins Bett gelegt, wenn es dunkelte; es war noch ihr altes Bettchen von daheim,
mit guten weichen Kissen und warmer Decke, wie es die Mutter gemacht; aber
heute, da konnte sie nicht zu Bett: es war Christabend. Nur ein klein wenig
hätte sie sehen mögen von all der Herrlichkeit draußen! Sie
hatte es ja noch gar nie gesehen, nur davon erzählen hören; aber sie
dachte sich's gar zu schön, die hellen Fenster und glänzenden
Christbäume.
In der armen Straße, wo die Wäscherin wohnte, war gerade nicht viel
von Weihnachtsjubel zu hören und zu sehen; doch dachte Margretchen, wenn
sie auch nur ein klein wenig vor die Haustür könnte, so müsste
sie doch etwas sehen. Sie ging an die Stubentür sie hatte das lange nicht
mehr probiert, sie war ja immer verschlossen; heut aber war sie offen! Hatte
das die Wäscherin absichtlich getan, weil's Christabend war? Die Kleine
schlüpfte hinaus, ein kalter Wind und Schneeflocken wehten ihr entgegen;
gegen Abend wurde ihre Stube auch kalt, aber da draußen war's doch noch
kälter. Margretchen fühlte es nicht; es war gar zu schön, auch
wieder einmal frei auf der Gasse laufen zu können. Es war noch nicht so
dunkel wie in der Stube, Weihnachtslichter sah sie aber nirgends brennen. Sie
wollte nicht wieder so weit weglaufen, ja nicht; nur noch ein bisschen weiter
in eine größere Straße: da sah sie wirklich auch ein helles
Fenster; aber es war hoch oben, sie konnte es kaum sehen.
Die Straße war fast leer, die Kleine fror in ihrem dünnen Kleidchen,
sie lief weiter und weiter; sie wusste nicht mehr recht, ob sie heimwärts
gehe oder weiter fort, - es fiel ihr eine Geschichte ein, die ihr der Vater
einmal erzählt, von einem armen, verlassenen Kind, das allein, ganz allein
durch eine fremde Stadt gegangen und das niemand in ein Haus gerufen habe, bis
ein Engel gekommen; der habe dem Kind die vielen, vielen funkelnden Sterne
gezeigt droben am Himmel, heller und schöner, als der schönste
Christbaum; der Engel aber sei das Christkind selbst gewesen und habe das
fremde kind mit hinauf getragen in den Himmel.
"O lieber Heiland, hol' mich lieber auch!" weinte Margretchen, aber
ganz leise; sie hatte Angst, es könnte sie wieder ein Polizeidiener
zurückführen, und jetzt erst fiel ihr ein, dass Frau Bendel ihr
gedroht hatte, wenn sie wieder fortlaufe, so bekomme sie Schläge.
Am Himmel war kein Stern zu sehen, nur Schnee rieselte herunter, leise, leise;
niemand gab acht auf das arme, verlaufene Kind, niemand hörte sein stilles
Weinen, wie es, ängstlich und bang weiter lief, fort und fort, in die
kalte Nacht hinaus.
Niemand? - Der Heiland im Himmel, der selbst einst als ein armes Kindlein auf
der Erde gewandelt, der sieht herab, auch wenn der ganze Himmel mit grauen
Wolken bedeckt ist, und der hat noch keines verlassen und vergessen.
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