|
Nicht
lange mehr hatte Margretchen der Mutter helfen können im Laden, und es war
das letzte Mal, dass sie Lichtlein verteilen durfte am Christabend.
Bald nach Neujahr war der Vater immer schwächer geworden und an dem Tage,
wo man ihn begrub, konnte die Mutter nicht mehr vom Bett aufstehen; die Leute
sagten es sei ein Zehrfieber, das habe sie von ihrem kranken Manne geerbt. Der
Laden hatte ihnen nicht eigen gehört; da zogen fremde Leute herein und die
kranke Frau mit dem Kind wurden in ein Kämmerchen oben im Hause
untergebracht. Da saß dann das kleine Mädchen, bei der kranken
Mutter viele Wochen lang; die armen Leute, die im Haus und in der Nachbarschaft
wohnten, brachten ihr eine Suppe, etwas Milch oder Kaffee; und am Ende bekam
die Kranke noch heftigeres Fieber und erkannte nicht einmal ihr eignes Kind
mehr. An einem Morgen, es war im Herbst gewesen, lag sie bleich und still, so
wie der Vater an dem Tag gelegen, als sie ihn in den Sarg gelegt hatten.
Der Armenarzt, der hier und da die kranke Frau besucht hatte, kam am Morgen;
ein ganz schmales Streifchen Sonnenlicht fiel oben durch das kleine Fenster auf
das blasse Mägdlein, das auf dem Schemel neben dem Bette saß.
"Was ist's Kind? Deine Mutter ist ja tot!" sagte der Doktor.
"Die Englein werden sie heute Nacht geholt haben," sagte Margretchen
ruhig, "zum lieben Vater; aber ich weiß nicht, warum mich der liebe
Gott nicht auch hat holen lassen, ich bin ja so allein." Und jetzt erst
fing das Kind bitterlich zu weinen an. Die Wäscherin im Nebenhaus wollte
sie mitnehmen, das Kind aber wollte nicht fort von der toten Mutter; es blieb
auf dem Schemel sitzen, bis man die Leiche in den Sarg legte und hinaus trug.
Frau Bendel, die Wäscherin, zog der Kleinen ein schwarzes Tüchlein
und eine schwarze Schürze an, die ihr mitleidige Leute geschenkt hatten,
und nahm sie an der Hand, dass sie mit ihr den Sag auf den Friedhof begleiten
durfte.
Es war dem Kind gewesen wie ein Traum , als man nun auch ihre liebe Mutter
hinunter gesenkt hatte unter die schwarze Erde. Sie konnte es nicht recht
fassen, aber sie war jetzt nicht so traurig wie vorher am Bett der toten
Mutter; denn es war noch so schön grün, die Sonne schien hell und
warm und ein spätes Vöglein zwitscherte auf einem Apfelbaum;
Margretchen war lange nicht mehr draußen gewesen.
Es fiel ihr ein, wie die Mutter ihr einmal gesagt hatte, als sie schon krank
lag: "Wenn ich auch von dir fort muss, so will ich den lieben Gott recht
bitten, dass er für dich sorgt," und sie konnte nicht so weinen wie
die wenigen armen Weiber, die mit gegangen waren und die mitleidig auf das arme
Kind blickten. Sie dachte: "Die Mutter ist jetzt beim lieben Gott, die
wird's ihm schon sagen, vielleicht holt er mich auch bald." Margretchen
wusste noch nicht, was Sterben ist.
Margretchens Eltern waren sehr arm gestorben; was noch da war, hatte nicht
gereicht, um den schuldigen Pachtzins für den Laden zu zahlen. Sie hatten
gar keine Verwandten, und auch der Kaufmann, bei dem früher der Vater
gedient, lebte nicht mehr. Man wollte das Kind ins Armenhaus bringen; Frau
Bendel, die Wäscherin, sagte aber, es wäre doch schade; dort seien
die Kinder gar roh und ungezogen, sie wolle das Kind behalten gegen ein kleines
Kostgeld. Man ließ es gerne bei ihr, weil sie für eine brave Frau
galt.
die Wäscherin plagte auch Margret nicht. Wenn sie daheim war, so wusch sie
das Kind sauber und kämmte sein Härchen; sie schnitt es ihm immer
kurz ab, weil sie nicht Zeit hatte, ihm Zöpfchen zu flechten, und zog es
ordentlich an. Aber sie war gar selten daheim, fast jeden Tag musste sie fort
zum Waschen; sie ging dann schon früh vor Tag, wenn Margrete noch lange
schlief; dann musste das Kind sehen, wie es allein aus dem Bett und in seine
Kleider kam. Auf dem Herd im Hausflur hatte die Wäscherin ein
Töpfchen Milch gesellt und ein Stück Brot dazu gelegt, davon konnte
sie essen und trinken; aber oft wurde sie doch nicht satt und konnte abends
nicht schlafen vor Hunger, bis Frau Bendel heimkam. Sie brachte dann
|
|