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Rotkehlchen
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel - Seite 4
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höchster Wunsch, auch einen so gelehrigen Papagei zu besitzen. Sie
verzeihen deshalb meine Anfrage. Es könnte ja sein, dass . . .und, wenn es
wäre . . .auf den Preis sollte es mir nicht ankommen . . ." Herr
Dusedann sah den Alten erblassen und dies verwirrte seine Rede. . . "Der
Händler sagte vierhundert Mark," fuhr er fort . . . "dies
hätte man schon öfter bezahlt. . . Aber, wenn Sie nicht wollen . . .
fünfhundert würde ich geben."
Es erleichterte ihn sichtlich, dass er dies Angebot los war; der Papagei aber
sang: "O du lieber Augustin, alles ist weg, weg, weg!" schwang sich
in seinen Ring und schaukelte sich, dass der Bauer bebte.
Der Alte sah auf ihn hin. "Das ist ein schönes Stück Geld,"
sagte er, und seine Stimme klang etwas heiser, "allein der Vogel
gehört meiner Tochter, er ist ein Andenken von meinem einzigen Sohne, der
in der See ertrunken ist." Dann rief er "Wendula!" Die Tür
des Nebenzimmers öffnete sich und ein junges Mädchen von etwa
achtzehn Jahren trat herein. Ihre Gestalt war mittelgroß und von jener
schlanken elastischen Fülle, die sogleich den Eindruck von Zartheit und
Kraft hervorbringt. Sie trug ein olivenbraunes Kleid und ein rotes
Tüchlein, das den oberen Teil der Brust bedeckte. Sie sah mit großen
dunklen augen etwas verwundert auf den Fremden hin. "Wendula," sagte
der Papagei, "Wendula Roland!"
"Wie ein Rotkehlchen," dachte Herr Dusedann unwillkürlich
wieder.
Der Alte sprach jetzt: "Dies ist Herr Dusedann. Er wünscht deinen
Papagei zu kaufen. Er will sehr viel Geld dafür geben - fünfhundert
Mark. Du kannst über dein Eigentum frei verfügen und ich will dich
nicht beeinflussen."
Das junge Mädchen sah auf ihren Vater, auf den Papagei und dann auf Herrn
Dusedann. Sie besann sich einen Augenblick, öffnete dann die Tür,
deren Drücker sie noch in der Hand hielt, sprach mit einer kurzen
Handbewegung: "Ich bitte", und ging in ihr Zimmer zurück. Herr
Dusedann folgte ihr. Sie schloss die Tür sorgfältig, schaute dann dem
jungen Mann mit den großen dunklen Augen gerade ins Gesicht und
schüttelte ein wenig den Kopf.
"Es geht nicht," sagte sie dann eindrücklich, "es geht
wirklich nicht."
Herr Dusedann wollte etwas sagen; er wusste nur durchaus nicht was.
Dann fuhr sie fort: "Der Vater hängt zu sehr an dem Vogel. Wenn die
Schwestern in der Schule sind und ich in der Wirtschaft zu tun habe, da ist er
oft lange allein. Er kann ja nur ganz wenig an seinem Stocke gehen und kommt
nie aus dem Hause. Da liegt er dann auf seinem Sofa und spricht mit dem Vogel
und lehrt ihn neue Künste. Ach, der ist ja so klug und wird alle Tage
klüger - es ist manchmal ganz unheimlich, was der für einen Verstand
hat." Sie sah Herrn Dusedann noch einmal eindrücklich an, nickte ein
wenig und fuhr dann fort: "Nicht wahr, Sie sehen das ein? Alle Tage
würde sich der Vater nach dem Vogel sehnen, und er hat ja so wenig vom
Leben."
Es war sonderbar, Herr Dusedann hatte nicht mehr die geringste Lust, den
Papagei zu kaufen, ja es kam ihm fast wie eine Art von schwarzherziger
Abscheulichkeit vor, dass er jemals eine solche Absicht hatte hegen
können.
"O gewiss . . .natürlich . . .jawohl . . .durchaus!" stotterte
er, denn das junge Mädchen, das so frei und schlank vor ihm stand und ihm
so gerade in die Augen sah, flötzte ihm jene Verwirrung ein, die ihn stets
jungen Mädchen gegenüber befiel, zumal wenn sie hübsch und
anmutig waren. Aber diese Empfindung war sehr stark mit Wohlgefallen gemischt.
Herzhafter setzte er hinzu: "Ich würde ihn nie kaufen! Nie!"
Sie lächelte ein ganz klein wenig, es war wie ein Sonnenlicht, das durch
eine Lücke windbewegter Zweige flüchtig über eine Rose gleitet.
Dann hielt sie ihm die Hand hin und sagte: "Gut, nun ist es
abgemacht!" In diese warme Mädchenhand einzuschlagen, war ein
gefährliches Unternehmen, allein es gelang über Erwarten gut und
durchrieselte Herrn Dusedann gar angenehm bis ins Herz hinein. Dann gingen sie
wieder zu dem Alten hinein, der sichtlich erfreut war, als er das Resultat der
Verhandlungen erfuhr. Der Papagei, als der Held des Tages, ward nun aus seinem
Bauer hervorgenommen und setzte sich auf Wendulas Finger. Er musste
"Küsschen geben", zuerst dem jungen Mädchen, dann Herrn
Dusedann,
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