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Chamäleon
Ein
Weihnachtsmärchen.
Weihnachtsmärchen
von Moritz Barach - Seite 2
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Anfang des Weihnachtsmärchen ]
Schauder erfaßte den jungen Mann, als er dieses Männlein anstarrte,
das ihm als er es in dem Nürnberger Spielwarenladen gekauft hatte, so
nett, lustig, und gar nicht grauenhaft erschienen war.
Der spitzige Blick des kleinen Männchens fuhr ihm wie ein Dolch in die
Brust, und unwillkürlich legte der junge Mann an das leise pochende Herz.
Nun hab sich aber das Männchen mit Geschick und Grazie aus seinem
Kästchen heraus, voltigierte mit der Virtuosität eines Turners auf
den Tisch herab, auf den der junge Mann das Bäumchen gestellt hatte,
setzte sich in Positur, zog das Hütlein, und machte vor dem erstaunten
jungen Mann eine ehrfurchtsvolle Verbeugung.
"Wer bist du?" flüsterte es kaum hörbar von den bebenden
Lippen des jungen Mannes, dessen schwarze, glänzende Haare sich
sträubten.
"Ich bin Maästro Chamäleon!" erwiderte das Männchen
lächelnd, das sich an dem Verblüfftsein des jungen Mannes zu weiden
schien.
"Nun scheinst Du erst nicht zu wissen, wer ich bin!" fuhr das
Männchen nach einer Weile grinsend fort. "Ich will dir aber nur
sagen, daß ich von altitalienischem Geschlecht bin, obgleich mein
Stammbaum eigentlich noch viel weiter zurückgeht, und zwar, wie einer
meiner Urväter, ein berühmter Saatsmann, meinte, bis zu Kain ...
Jedenfalls bist Du sicher, daß Du Dich in guter, vornehmer Gesellschaft
befindest. - Habe Vertrauen zu mir, ich meine es gut mit Dir, Du ehrlicher,
aber - Du verzeihst schon! - Dummer Deutscher! ... Ich will die nur kurzweg
sagen, daß ich gekommen bin, Dich aus dem Elend zu reißen, in das
Du dich verstrickt hast, und ohne mich immer mehr verstricken wirst. - Reiche
mir die Hand, und es wird Dir wohlergehen, den ich bin der wahre Protektor des
Talentes, ich helfe ihm auf die Beine, ich setze ihn ins warme, wohnliche Haus!
Ich bin der Freund der gepeinigten, unterdrückten Genies, ich bin der
Mäzen der hungernden Jünger des Wissens und der Künste! ... Komm
her zu mir! Ich ziehe dir den Dorn unbefriedigten Ehrgeizes aus der blutenden
Brust! ... Komm her zu mir! Ich befreie Dich von dem nagenden Ungeziefer des
gedemütigten Selbstbewußtsein! ... Komm her zu mir! Ich jage das
ekelige, schmutzige Spinnengewebe der Not und des Elends von Dir, und von
denen, die Du liebst, und für die Du strebst, hoffst und leidest! ... Komm
her zu mir! Du armer, wackerer, junger Mann, der Du ein besseres Los verdienst!
... Vor allem stärke Deine angespannten, zitternden Nerven, daß Du
wieder Kraft gewinnst zu Deinem Werke des Lebens, des Strebens, der Tat, der
Liebe, des Glücks! ..."
Dabei nahm das kleine Männchen aus seinem Gürtel ein Fläschchen,
dessen Inhalt so grell und bunt schimmerte, daß dem jungen Mann die Augen
übergingen, als er eine Sekunde darauf gesehen.
"Da nimm und trink!" forderte ihn das kleine Männchen auf und
reichte ihm das Fläschchen. Während es dem jungen Mann schien,
daß ihn eine unsichtbare Gewalt zurückhalten wollte, griff er mit
fieberhaften Begierde nach dem Fläschchen, das er rasch an die trockenen
heißen Lippen setzte.
Er trank mit der Hast des Wahnsinns in einem Zug daraus.
Frohlockend sah ihm das kleine Männchen zu, und wie ein chinesisches
Farbenfeuerwerk sprühte es dabei aus seinen Augen, und dem Smaragdknopf
seines Degengriffes.
Der junge Mann aber fühlte ein eigentümliches Kribbeln durch seine
Adern kriechen, dabei aber war ihm jeder Pulsschlag ein Nadelstich. Ein leises
Unbehagen nagte ihm am Herzen, indes es in seinem Gehirn brodelte, als
vollzöge sich da irgend ein chemischer Prozeß. Nach und nach zog
sich die Lebenswärme aus seinem Innern, in dem sie fiebernd gebrannt
hatte, nach Außen, und es schien dem jungen Mann, als wäre dagegen
die organische Tätigkeit seiner Haut um das hundertfache erhöht. Sie
war ganz von einem warmen Schweiß bedeckt, in dem sich zitternd
abspiegelte, was sich in der Stube befand. Das kleine Männchen war
indessen sehr geschäftig gewesen.
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