|
[
zurück zum
Anfag des Weihnachtsmärchens ]
sehen wie damals, als sie daheim unter den Rosen saßen. Er würde
sicher froh sein, sie zu erblicken, zu hören, welchen langen Weg sie um
seinetwillen zurückgelegt, zu wissen, wie betrübt sie Alle daheim
gewesen, als er nicht wiedergekommen. O, das war eine Furcht und eine Freude!
Nun waren sie auf der Treppe. Da brannte eine kleine Lampe auf einem Schranke,
und mitten auf dem Fußboden stand die zahme Krähe und wendete den
Kopf nach allen Seiten und betrachtete Gretchen, die sich verneigte, wie die
Großmutter sie gelehrt hatte. "Mein Verlobter hat mir viel Gutes
über sie gesagt, mein kleines Fräulein", sagte die zahme
Krähe, "ihr Lebenslauf ist auch sehr rührend! - Wollen sie die
Lampe nehmen, dann werde ich vorangehen. Wir gehen hier den geraden Weg, denn
da begegnen wir Niemand!"
"Es ist mir, als käme gerade Jemand hinter und!" sagte Gretchen,
und es sauste an ihr vorbei; es war wie Schatten an der Wand entlang, Pferde
mit fliegenden Mähnen und dünnen Beinen, Jägerburschen, Herren
und Damen zu Pferde.
"Das sind nur Träume!" sagte die Krähe, "die kommen
und holen der hohen Herrschaft Gedanken zur Jagd ab. Das ist recht gut, dann
können sie sie besser im Bette betrachten. Aber ich hoffe, wenn sie zu
Ehre und Würde gelangen, dass sie dann ein dankbares Herz zeigen
werden!"
"Darüber bedarf es keine Worte!" sagte die Krähe vom Wald.
Nun kamen sie in den ersten Saal, der war von rosenrotem Atlas mit
künstlichen Blumen an den Wänden hinauf. Hier sausten die Träume
schon an ihnen vorüber, aber sie fuhren so schnell, dass Gretchen die
hohen Herrschaften nicht zu sehen bekam. Ein Saal war immer prächtiger als
der andere: ja, man konnte wohl betäubt werden, und nun waren sie im
Schlafgemach. Die Decke hier glich einer großen Palme mit Blättern
von Glas, kostbarem Glas, und mitten auf dem Fußboden hingen an einem
dicken Stängel von Gold zwei Betten, von denen jedes wie eine Lilie
aussah. Das eine Bett war weiß, in diesem lag die Prinzessin; das andere
war rot, und in diesem sollte Gretchen den kleinen Karl suchen. Sie bog eines
der roten Blätter zur Seite, und da sah sie einen braunen Nacken. - O, das
war Karl! - Sie rief ganz laut seinen Namen, hielt die Lampe gegen ihn hin - er
erwachte, wendete das Haupt und - es war nicht der kleine Karl. Der Prinz glich
ihm nur im Nacken, aber jung und hübsch war er. Und aus dem weißen
Lilienblatt blinzelte die Prinzessin hervor, und fragte, was das sei. Da weinte
das kleine Gretchen und erzählte ihre ganze Geschichte und Alles, was die
Krähen für sie getan hatten.
"Du armes Kind!" sagte der Prinz und die Prinzessin, belobten die
Krähen und sagten, dass sie gar nicht böse auf sie seien, aber sie
sollten es doch nicht wieder tun. Übrigens sollten sie eine Belohnung
erhalten.
"Wollt ihr frei fliegen?" fragte die Prinzessin. "Oder wollt ihr
feste Anstellung als Hofkrähen haben, mit Allem, was da in der Küche
abfällt?"
Beide Krähen verneigten sich und baten um feste Anstellung, denn sie
gedachten des Alters und sagten, es sei schön, etwas für das Alter zu
haben.
Der Prinz stand aus seinem Bett auf und ließ Gretchen darin schlafen,
mehr konnte er wirklich nicht tun. Sie faltete ihre kleinen Hände und
dachte: "Wie gut sind die Menschen und Tiere!" und dann schloss sie
ihre Augen und schlief sanft. Alle Träume kamen wieder hereingeflogen, und
da sahen sie wie Gottes Engel aus, und sie zogen einen kleinen Schlitten, auf
welchem Karl saß und nickte. Aber das Ganze war nur ein Traum, und
deshalb war es auch wieder fort, sobald sie erwachte.
Am nächsten Tage wurde sie vom Kopf bis zum Fuß in Seide und Samt
gekleidet; es wurde ihr angeboten, auf dem Schloss zu bleiben und gute Tage zu
genießen, aber sie bat nur um einen kleinen Wagen mit einem Pferd davor,
und um ein paar Schuhe, dann wollte sie wieder in die weite Welt hinausfahren
und Karl suchen.
Sie erhielt sowohl Schuhe als Muff, sie wurde niedlich gekleidet, und als sie
fort wollte, hielt vor der Tür eine neue Kutsche von reinem Gold; des
Prinzen und der Prinzessin Wappen glänzte an derselben wie ein Stern.
Kutscher, Diener und Vorreiter, denn da waren auch
|
|