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Eine
Weihnachtsfahrt
Weihnachtsgeschichte
von Monika Hunnius ( 1858 bis 1934 )
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Wir
waren wieder einmal auf unseren Weihnachtsfahrten zu den Armen. Unser Weg
führte uns auch dieses Mal in einen der entferntesten Vororte Rigas. Wir
hielten vor einem hohen Steinhaus, wo wir mit unserem Weihnachtsbäumchen
eine arme Frau aufsuchen wollten. Eine Nachbarin wies uns eine Steintreppe
hinauf, die wir mühsam emporkletterten, und wir standen bald in einem
großen, dunklen Zimmer, das von einer Petroleumlampe kaum erhellt wurde.
Als wir die Tür öffneten, konnte man zuerst fast nichts in dem
dunklen Raum unterscheiden. Ein entsetzlicher Geruch schlug uns entgegen. Als
unsere Augen sich an die Dämmerung gewöhnt hatten, erkannten wir die
Ursache des furchtbaren Geruchs, der von faulen Tierhäuten herkam, die zum
Trocknen von der Decke herabhingen. An der Wand entdeckten wir ein schmales
Bett, in dem eine kleine dunkle Gestalt zusammengekrümmt lag. Wir traten
ans Bett, stellten das mitgebrachte Weihnachtsbäumchen auf ein Tischchen -
der Pastor las das Weihnachtsevangelium, wir sangen Weihnachtslieder. Mit
bösem, hartem Ausdruck blickte die Kranke zu uns herüber; ihr Gesicht
hatte etwas von einem Raubvogel, keine Freude, nicht einmal Staunen sprach aus
den runden, bösen Augen. Der Pastor redete einige Worte zu ihr, von der
Freude, die heute in die Welt gekommen wäre - sie sah ihm starr ins
Gesicht, ohne eine Miene zu verziehen; sie konnte die frohe Botschaft nicht
hören, ihr Herz war verschlossen und tot.
Der Pastor fragte sie, ob sie jemand habe, der sich um sie kümmerte. - Ja,
ihre Söhne - am Morgen gingen sie auf Arbeit aus, stellten ihr das
Nötige hin und kämen am Abend wieder - den ganzen Tag läge sie
allein. - Ob ihr die Einsamkeit schwer zu tragen wäre? - Sie antwortete
nicht darauf. Ein Jammer um diese lichtlose Leben fasste unsere Herzen. Eine
freundliche Blumenhändlerin hatte mir einen großen Strauß
Frühlingsblumen für meine Armenfahrt mitgegeben. Ich griff in mein
Körbchen, wo ich sie sorgsam gegen die Winterkälte verwahrt hatte,
und legte sie alle der Kranken auf die Brust. Mit ihren dunklen,
verkrümmten Fingern fasste sie vorsichtig nach ihnen wie nach etwas
Unwirklichem. Und dann ging eine merkwürdige Veränderung in dem
harten, scharfen Gesicht vor sich: es brach wie ein Leuchten aus ihren Augen.
"Blumen, lebendige Blumen", sagte die harte Stimme, in der
plötzlich eine Freude klang. "Blumen für mich", sagte sie
noch einmal, "und ich darf sie behalten." Sie nahm die lichten
Frühlingskinder und hob sie an ihre Wangen und atmete den Duft ein. Auf
ihrem Gesicht lag ein Glänzen. Sie sah nicht den Weihnachtsbaum mit seinen
schimmernden Lichtlein, sie sah uns nicht, die wir erschüttert an ihrem
Bett standen - sie sah nur die Blumen, und ihre Seele lauschte diesem Ruf aus
einer lichten Welt. Wir gingen still hinaus. In der Türe wandte ich mich
um und nahm die ganze trostlose Umgebung, in der sie lag, noch einmal in mich
auf. Sie aber lag friedlich da, im Lichte der Weihnachtskerzen, die Hände
dicht um die Frühlingsblumen geschlossen, die hellen Blüten an ihre
dunkle Wange gedrückt. Ihre Augen waren geschlossen - auf ihrem Gesicht
war Frieden.
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