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Linnäa
Weihnachtsgeschichte
von Monika Hunnius ( 1858 bis 1934 )
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Es
war Weihnachten, und die Schulstube im Hause des Lehrers war still geworden.
Die Schüler waren fort, und alle Zeichen des Arbeitslebens waren
hinausgetragen, die Schulbänke, die Tische und die Karten von den
Wänden. Es war zum Weihnachtszimmer verwandelt, und nichts darin erinnerte
mehr an Arbeit des Werktags. Bilder aus der biblischen Geschichte
schmückten die Wände, die Fensterbretter waren voll blühender
Blumen, ein altertümliches Sofa, schwere alte Mahagonitische,
Lehnstühle, weiche Teppiche gaben dem Zimmer ein unbeschreiblich
behagliches Aussehen. Der bunte Weihnachtsstern hing von der Decke herab, an
der einen Wand stand der Weihnachtsbaum mit purpurnen Äpfeln und
vergoldeten Nüssen geschmückt. Das ganz Zimmer war erfüllt von
Sonne und Festglanz.
Und nun trugen wir sie herein, unsere geliebte Kranke, die älteste Tochter
des Hauses, und betteten sie auf ihr Lager, dem Weihnachtsbaum gegenüber.
Seit dem Herbst lag sie an einer schweren Krankheit danieder. Ich hatte sie vom
ersten Tage an gepflegt. Tag und Nacht bis zu dieser Stunde war ich kaum von
ihrer Seite gewichen. Ich hatte um ihr Leben gesungen mit der ganzen Kraft der
Verzweiflung meiner jungen Jahre, ich hatte dem Tod meine junge Kraft, meinen
trotzigen Willen zum Leben entgegengestellt.
"Sie darf nicht sterben, sie wird nicht sterben!" sagte ich den
verzagenden Eltern Tag für Tag. Und ich riss sie mit mir fort, dass sie
mit mir an ein Wunder glaubten. Und das Wunder war geschehen, der Arzt
erklärte sie für gerettet. Nun lag sie in ihren weißen Kissen,
schön und durchsichtig blass, als gehöre sie nicht mehr in diese
Welt. Sie sah zum erstenmal seit Monaten einen anderen Raum als ihr
Krankenzimmer, und ihre wunderbaren dunklen Augen sahen träumend in das
festliche Licht um sie. Die Herrlichkeit eines nordischen Wintertags mit
dichtem, funkelndem Schnee schaute aus dem Garten in die Fenster.
Sie lag ganz still, ich saß auf einem Bänkchen zu den
Füßen ihres Bettes und blickte auf sie. So hatte ich gesessen, Tage
und Nächte, und hatte ihre Leiden mit ihr gelitten bis in alle Tiefen
meiner jungen stürmischen Seele. Nun hob sie die Hände und hielt sie
in die Sonne; es waren seltsame Hände, wie man sie nur auf alten
italienischen Bildern sieht, lang und schmal, mit spitzen Fingern. Hände,
"die nicht gelebt", die nur geträumt und gelitten hatten. In den
schwersten Leidenstagen konnte ich sie nicht ansehen, alle Qualen ihres Leibes,
alle Leiden ihrer Seele las ich in diesen Händen.
Zwei kleine zahme Vögel flogen im sonnigen Zimmer umher - es waren Meisen,
die sich auf den Ästen des Tannenbaumes schaukelten, die goldenen
Nüsse schlugen mit leise klirrendem Ton aneinander. Nun breitete der eine
Vogel seine Schwingen aus, umkreiste das Bett der Kranken und ließ sich
auf ihren blassen Händen nieder. Sie hielt ganz still, der Vogel erhob
sein Stimmchen und sang leise und süß. Dann erschrak er und flog
wieder fort, und da lachte sie; es war ein Lachen ebenso leise und
süß wie das Singen des Vogels. Ich hatte sie nie lachen gehört,
seitdem sie krank war. Die leise Vogelstimme und das leise süße
Lachen erinnerten beide an Jugend, Gesundheit, Leben und Auferstehen.
"Du wirst leben!" sagte ich, überwältigt von Glück,
und die Tränen flossen mir über die Wangen. Sie schwieg, sie war sehr
still auch in gesunden Tagen. Wir nannten sie "Linnäa", denn sie
erinnerte in ihrer ganzen Art an diese Blume, die linnäa borealis, die
Sommer in den Dünen blühte. Es war ihre Lieblingsblume, sie hatte
blassrosa Glöckchen, die sich bei jedem Windhauch bewegten und einen
süßen Duft nach bitteren Mandeln ausströmten , zart und scheu.
Unsere Linnäa lebte schwer, ihre Seele war für das Vollkommene
geschaffen, und der Erdenstaub bedrückte ihre feine Blüte. Sie war
eine Einsame, zu zart für das Leben; auch wenn sie fröhlich mit uns
war, lag immer etwas von Schwermut und Einsamkeit über ihr. Ich glaube,
ganz hat sie nie ein Mensch auf Erden verstanden.
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