|
|
Weihnachten
auf einem livländischen Pastorat
Weihnachtsgeschichte
von Monika Hunnius ( 1858 bis 1934 )
|
|
|
Ich
habe eine Einladung zu Weihnachten auf einem livländischen Pastorat. Ich
soll mitbringen, wen ich will. Das trifft sich herrlich: drei junge
Künstler sind eben bei mir aus Nord -, Süddeutschland und aus
England. Sie sind für den Winter nach Riga gekommen, um bei mir Gesang zu
studieren: Eva, Tempe und Bobbi, alle drei jung, schön, talentvoll. Vor
allen dreien liegt das Leben mit wundervollen Verheißungen, die sich alle
erfüllen sollen. Ich teile ihnen die Einladung mit, die sie mit Jubel
erfüllt. Ein livländisches Pastorat mit Winterschnee und Einsamkeit
und dazu Weihnachtszeit! Sie denken sich ein Märchen darunter. Ich freue
mich, ihnen ein Leben zu zeigen, von dem sie bisher keine Ahnung hatten, sie in
eine Welt zu führen, die ihnen fremd war, und in der ich gelebt von meinen
frühesten Kindertagen an.
Der Pastor ist ein Verwandter. Er ist Junggeselle und lebt in seinem ganz
weltfremden livländischen Pastorat allein mit seinen estnischen Leuten.
Der Tag der Abreise ist gekommen. Ich habe vorher eifrig mit dem Pastor
korrespondiert, er ist in der größten Aufregung. Er hat nie
Künstler bei sich gehabt und fragt ängstlich, ob es ihnen auch bei
ihm behaglich sein würde in den schlichten Verhältnissen, ohne
Hausfrau. Er ist in die Nachbarschaft gefahren, um Einkäufe für die
Festtage zu machen; er lässt ein Schwein schlachten, lässt
Hühner und Enten morden, Berge von Vorräten häufen sich in der
Speisekammer. Er hat immer die eine Angst: wird`s auch langen? Ich habe ihm
tröstend geschrieben: "Die drei sind meine Kinder, die sich über
alles freuen, Du sollst dir keine Sorgen machen, sonder nur froh sein."
Die Bahnfahrt hat lange gedauert, und die frühe Dämmerung eines
verschneiten Wintertages liegt über der Welt, als wir aus dem Zuge
steigen. Zwei Schlitten aus dem Pastorat halten vor dem Stationsgebäude.
Sie sind mit Pelzen und warmen Decken versehen. Meine drei haben auf der Fahrt
so viel gelacht und gejauchzt, dass sie müde und still geworden sind.
Schweigend fahren wir durch die verschneiten Felder. Der Himmel ist grau und
schwer, Schnee, soweit das Auge reicht. Unter dicken Schneekappen geduckt
liegen die Bauernhäuschen, an denen wir vorüberfahren, und aus den
kleinen Fenstern fällt ein Lichtschimmer über den Weg. Es ist eine
feierliche Welt voll überwältigender Einsamkeit, die mit leisem
Finger an die Herzen meiner frohen Kinder rührt. Es ist atemlos still,
dass es sich wie eine Last auf ihre Herzen legt; für mich aber ist`s wie
ein frohes Heimkommen, denn ich liebe mein Land in seiner Winterhülle.
Hell und eintönig klingen die Glöckchen an unserem Schlitten durch
die Stille. Nach fast zweistündiger Fahrt taucht ferne ein Lichtlein auf;
es ist die Lampe aus dem Pastorat. Wir fahren an der Kirche vorüber, nun
hört man gewiss unsere Glocken auch dort schon. Bald halten wir vor der
breiten Verandatreppe, über die eine mächtige Linde ihre verschneiten
Zweige breitet. In der Haustür steht der Pastor, eine Lampe in der hoch
erhobenen Hand haltend, und ruft uns ein frohes Willkommen zu. Er hat ein
stilles, friedvolles Gesicht, das jetzt bleich vor Erregung ist. In sein
ernstes Pflichtenleben kommt mit uns etwas Glanzvolles, Stürmisches, und
er fürchtet sich davor, so sehr sich seine Seele auch nach Freude sehnt.
Wir treten ins Haus, das für uns festlich bereitet ist: Tannenzweige,
Tannenbäumchen, die mit brennenden Lichtlein geschmückt sind, finden
wir in allen Zimmern. Duft nach frischgebackenem Brot und herrlichen Kaffee
durchzieht das Haus. Wir werden in die Fremdenzimmer geführt. Jubel,
Lachen erfüllt plötzlich das Haus und macht den Pastor verwirrt und
stumm. Meine drei nehmen einfach Besitz vom Ganzen mit dem Übermut der
Jugend, und bald sitzen wir um den Kaffeetisch. Hochgetürmte Teller voll
frischer Kümmelkuchen, große Kannen Milch, Schalen mit Butter und
Honig und eine riesige Messingkaffeekanne stehen darauf. Der Pastor will seinen
Platz als Hausherr einnehmen und den Kaffee einschenken, aber das lassen seine
Gäste nicht zu. "Die Mutter muss obenan sitzen, die Mutter muss den
Kaffee eingießen", rufen sie. Ich werde auf den Ehrenplatz
gedrängt, der Pastor muss weichen; er ist völlig betäubt und
sagt zu allem ja.
|
|
|