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Der
Wegweiser
Weihnachtsmärchen
von Sophie Reinheimer ( 1874 bis 1935 )
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Da,
wo die Landstraße mit noch einer anderen Landstraße zusammentraf,
gerade an der Ecke auf der Wiese, stand ein Wegweiser. Es streckte seinen
beiden hölzernen Arme aus, der eine zeigte auf die eine, der andere auf
die andere Landstraße, und auf jedem der beiden Arme stand geschrieben,
wohin die Landstraße führte und wie weit der Weg bis dahin noch sei.
Nach Finkenbach 3 km
Nach Walddorf 5 km
Es war gut, dass der Wegweiser da stand. Denn wer hätte den Leuten, die
auf der Landstraße daherkamen und nicht wussten, ob sie gerade oder nach
rechts gehen mussten, den Weg zeigen sollen?
Um den Wegweiser herum, auf der Wiese, standen die allerschönsten Blumen.
Im Frühling Himmelsschlüsselchen, im Sommer Vergissmeinnicht,
Butterblumen und weiße Margareten. Durch die Wiese floss ein kleiner
Bach, über den Blumen flatterten gelbe, braune, und blaue Schmetterlinge,
und die kamen auch zu dem Wegweiser zu Besuch und setzten sich auf seine Arme.
Aber denen allen brauchte der Wegweiser den Weg nicht zu zeigen; sie wussten
ihn schon von ganz alleine. Auch den Vögelchen nicht, die ihn besuchten.
"Tschip tschip - was stehen Sie eigentlich hier immerzu wie ein Storch auf
einem Bein, mit ausgebreiteten Flügeln?" fragte ihn einmal ein
frecher Spatz. "Haben Sie kein Nest und keine Jungen, die Sie füttern
müssen?"
"Ich zeige den Menschen den richtigen Weg", sagte der Wegweiser.
"Tschip tschip tschip - richtigen Weg zeigen! Müssen die Menschen
dumm sein! Ich finde ihn immer", sagte der Spatz. Der Wegweiser antwortete
nichts. Er dachte sich sein Teil. Er unterhielt sich lieber mit den
Sonnenstrahlen, mit dem Mond und den glitzernden Sternlein, die des Abends
über ihm standen. Ja - der Mond und die Sterne, das waren seine ganz
besonderen Freunde. Still standen sie wie er und zeigten auch den Leuten den
richtigen Weg. Und der Mondschein, der warf ihm einen silbernen Mantel um,
sagte ihm, nun sähe er aus wie ein Märchenprinz, und erzählte
ihm Geschichten von seinen Reisen. "Ja - ohne den Mondschein stünde
ich doch hier recht einsam", dachte der Wegweiser.
Aber er hielt tapfer aus.
Manchmal taten ihm seine Arme ein bisschen weh von dem ewigen Steifhalten.
Aber:
Nach Finkenbach 3 km
Nach Walddorf 5 km
Tag für Tag sagte er es den Leuten, die vor ihm stehen blieben und ihn
nach dem Wege fragten. Tag für Tag stand er in der glühendsten Hitze,
beim schlimmsten Regenwetter und wenn es so kalt war, dass von den Menschen aus
den Tüchern und Kapuzen kaum die Nasenspitzen herausguckten.
Manchmal rüttelten und schüttelten die Herbst - und Winterstürme
an ihm. Sie packten ihn mit aller Gewalt und wollten ihn durchaus auf die Erde
werfen. Aber fest blieb der Wegweiser auf einem Bein in der Erde stehen.
"Nein - ich darf nicht umfallen - ich muss stehen bleiben und den Menschen
den richtigen Weg zeigen. Das ist meine Arbeit auf dieser Welt", sagte er.
Eines Morgens tanzten weiße Schneeflocken um ihn herum. Die woben - ganz
heimlich und leise - aus tausend winzigen Glitzersternchen ein Krönlein
und setzten es dem Wegweiser auf. Niemand auf der Erde merkte, dass es eine
Krone war. Aber der Mond und die Sterne - die wussten es.
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