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Das vertauschte Weihnachtskind

Weihnachtsgeschichte von Victor Blüthgen (1844 bis 1920)

Klein-Elsbeth war fünf Jahre alt und hatte es recht gut auf der Welt, denn erstens brauchte sie noch nicht in die Schule gehen, zweitens hatte sie in der schönen, großen Wohnung der Eltern ein eigenes Zimmerchen für sich, das voll niedlicher Möbel war, darunter ein Schrank ganz voll Spielsachen, und drittens hatte sie immer Unterhaltung, nämlich ein Fräulein, das immer bei ihr war und sich mit ihr beschäftigte, weil Papa meistens im Geschäft war und Mama viel schlafen und Besuche machen mußte. Wenn aber recht schönes Wetter war, durfte der Kutscher aufspannen, und dann fuhr sie mit Fräulein spazieren.
Na, der Kutscher! Den mochte sie zu gern. Der war immer so spaßig, und wenn er Besorgungen gemacht hatte, brachte er ihr immer was zu naschen mit.
Ihr einziger Kummer war, daß sie kein Brüderchen hatte, so eine richtige lebendige Puppe. Im ganzen Haus war sie das einzige Kind, auch Doktor Krauses im oberen Stock, die noch nicht lange eingezogen waren, hatten keine Kinder. Aber lieb war die Frau Doktor, Elsbethchen durfte manchmal zu ihr hinaufgehen mit Fräulein, und dann spielte die Frau Doktor ganz richtig mit ihr, als wenn sie auch ein kleines Mädchen wäre.
Weihnachten kam heran, und eines Abends erschien - rate mal wer? Der Knecht Ruprecht.
Fräulein hatte schon vorher gesagt: "Wo nur der Knecht Ruprecht bleibt? Kommen wird er sicher. Wir müssen uns nur überlegen, was wir uns zu Weihnachten wünschen, damit wir ihm das sagen können." Das war nun eine wichtige Sache. Es war denn auch eine ganze Liste zusammengekommen, Fräulein hatte alles aufgeschrieben, und Elsbeth hatte ihren Namen und die Straße und Hausnummer drunter schreiben müssen, Fräulein hatte ihr die Hand geführt.
Und nun stapfte es vor der Tür, gerade, als Fräulein das Märchen vom ehrlichen Laubfrosch erzählte, und die Tür ging auf, und herein kamen Apfel, Nüsse und eingewickelte Bonbons, und hinterher der Ruprecht. Er brummte wie ein Bär durch seinen weißen Bart und sprach beinahe so wie Heinrich der Kutscher, Elsbeth mußte beten, und dann sollte sie sich etwas zu Weihnachten wünschen. Da holte Fräulein den Zettel für Elsbeth und auch ihren eigenen, und der Ruprecht ging damit ab.
Elsbeth war ja nun sehr befriedigt, und Fräulein half mit auflesen; auf einmal aber schrie Elsbeth: "Fräulein, Fräulein -!"
"Was denn?"
"Ich habe was vergessen."
"Was hast du denn vergessen?"
"Ich will ja ein kleines Brüderchen haben, das ist die allergrößte Hauptsache. Hole doch den Ruprecht noch einmal!"
"Schade, der ist aber schon weit fort. Weißt da was? Wir schreiben an ihn. Die Post weiß gewiß seine Adresse; er wird wohl mehr Briefe bekommen."
Das war ein Trost. Fräulein nahm Papier und Feder, und Elsbeth mußte diktieren.
"Lieber Knecht Ruprecht! Entschuldigen Sie, wenn ich störe" - so sagte nämlich Fräulein immer zur Mama - "ich wünsche mir am allermeisten ein kleines Brüderchen, bitte, bitte! Es grüßt Sie Ihre Elsbeth."
"Die Adresse schreibe ich dazu," sagte Fräulein, "und die auf das Kuvert auch."
"Die Marke darf ich lecken, nicht?"
"Für den Ruprecht braucht’s keine."
Aber Elsbeth wollte lieber sicher gehen und ließ nicht nach, bis eine Marke aufgeklebt war; und nachher war sie sehr energisch dagegen, daß Minna, das Stubenmädchen, den Brief in den Briefkasten trug, Fräulein mußte mit ihr über die Straße gehen und sie heben, so daß sie den Brief selber einstecken konnte.
Fräulein lachte heimlich. Der Briefkasten gehörte nämlich nicht der Post, sondern einem großen Kohlengeschäft. Die Leute würden sich dort schön wundern!
Darauf gingen die beiden wieder Äpfel, Nüsse und Bonbons zusammenlesen.
Der Tag zu Heiligabend war gekommen und Klein-Elsbeth in wahrem Fieber vor Erwartung. Das Brüderchen mußte doch sicher kommen; bis jetzt hatte der Weihnachtsmann immer alles gebracht, was sie sich gewünscht hatte. Wenn bloß der Brief richtig angekommen war!
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