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Eine
Verlassene
Weihnachtsgeschichte
von Monika Hunnius ( 1858 bis 1934 )
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Weihnachten!
Ein Kreis hat sich zusammengefunden, um Weihnachten in die Hütten der
Armen und Verlassenen zu tragen. Wir haben uns in einem Schullokal versammelt,
haben unsere Pakete gemacht, bekommen unsere Adressen, unser
Tannenbäumchen und werden einem jungen Kandidaten der Theologie zugeteilt,
der uns führen und den Armen die Weihnachtsandacht halten soll. Der
Postschlitten wartet draußen, es ist ein eisiger Winternachmittag.
Außer mit und den Kandidaten fahren noch zwei junge Mädchen mit uns.
Man kann in der Kälte schwer atmen. Der Kandidat sagt dem Kutscher eine
Adresse, der brummt unzufrieden: "Das ist ja ganz aus der Stadt
heraus", murmelt er, "da wohnen ja nur die Ärmsten, dort sind ja
gar keine Häuser mehr, nur Hütten."
"Gerade darum fahren wir ja auch hin, diese Ärmsten sollen auch
Weihnachten haben", sagt der Kandidat mit seiner hellen, fröhlichen
Stimme. Er ist noch sehr jung, und sein Herz ist voll begeisterter Liebe
für die Armen und für sein zukünftiges Amt.
Die Fahrt will kein Ende nehmen, längst liegen die Häuser der Stadt
hinter uns. An kleinen, schiefen Häuschen mit verschneiten Vorgärten
fahren wir vorüber; es ist kalt, die erstarrten Hände können
kaum mehr die Pakete und das Bäumchen halten. Endlich hält der
Schlitten vor einem etwas größeren Steinhause, und wir sind am Ziel.
Die Haustür öffnet sich auf unser Klopfen, eine Frau mit finsterem
mürrischen Gesicht fragt nach unserem Begehr. Wir nennen den Namen der
alten Frau, zu der wir wollen. - "Ach, zu der wollen Sie", ist die
noch immer unfreundliche Antwort.
"Wir bringen ihr Weihnachten!" ruft die Stimme des Kandidaten.
"Bringen sie ihr lieber den Tod", sagt die Frau mürrisch,
"dann würde sie ihnen mehr danken als für Weihnachten, sie ist
schon sehr alt und stirbt noch immer nicht, sie lebt keinem zur Freude."
So redend, leuchtet sie uns mit einer Laterne die steile Treppe hinauf und
weist uns an eine verschlossene Tür. Wir haben das mitgebrachte
Bäumchen mit Lichtern geschmückt, haben die Gaben ausgepackt, nun
öffnet der Kandidat die Tür. Wir treten in ein ziemlich großes,
düsteres Zimmer, das nur durch den Schein einer kleinen Petroleumlampe
spärlich erhellt ist. In einer Ecke des Zimmers steht ein Bett, aus den
Kissen erhebt sich langsam ein furchtbares Gesicht, es gehört einer alten
Frau. Wir sehen einen Totenschädel mit trüben, traurigen Augen, die
sich auf uns richten. Kein Haar bedeckt den Kopf, wie erstarrt blickt das
furchtbare Antlitz auf uns.
Der Kandidat stellt das Weihnachtsbäumchen auf den Tisch. Im Schein der
Weihnachtskerzen steht er da, sein Gesicht ist licht und klar, leuchtend vor
Erbarmen und Güte und voll kindlichen Gottvertrauens. Er gibt uns ein
Zeichen, wir sollen singen. "Stille Nacht, heilige Nacht", erklingt
durch den düsteren Raum. Dann liest der Kandidat die alte frohe Botschaft,
die den Mühseligen und Beladenen Jahr für Jahr immer wieder von neuem
tröstend erklingt: "Euch ist heute der Heiland geboren!"
Stumm und immer mit entsetzten Augen hat die Alte keinen Blick vom Kandidaten
gewandt. Nun tritt er an ihr Bett, nimmt ihre Hand und spricht liebevoll:
"Auch für sie ist heute das Christkind in die Welt gekommen."
Da schleudert sie mit einer wilden Bewegung seine Hand zu Seite und
schlägt die dürren Hände vors Gesicht: "Es ist nicht
wahr", schreit sie, "zu mir kommt niemand, nicht einmal der Tod. Was
mache ich mit dem Christuskind, ich brauche den Tod, aber Gott hat mich
vergessen!"
"Er hat Sie nicht vergessen!" Wie ein Jubel klang es aus der hellen
Stimme. "Gerade für Sie, weil sie so einsam und alt sind, gelten die
schönsten Verheißungen."
"Aber warum muss ich denn noch auf der Erde leben?" jammert die alte
Stimme.
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