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Kinderweihnacht
Weihnachtsgeschichte
von Monika Hunnius - Seite 2
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Anfag der Weihnachtsgeschichte ]
Sägespänen ergoss sich aus der Wunde. Voller Staunen sahen wir dem
Strom zu, vergrößerten grausam mit den Fingern den Riss und sahen
kaltblütig ihr Leben entströmen. Plötzlich wurde und bange, sie
wurde welk und dünn; wenn wir sie aufsetzen wollten, knickte sie zusammen,
und ihr schwerer Porzellankopf sank ihr vornüber.
Ein großer Schmerz kam über ich, und mein kleines Schwesterchen fing
an zu weinen. In unserer Angst brachten wir unser Opfer zu unserer alten
Wärterin. "Mein Gott, welche Kinder", war ihr
beängstigender Ausruf bei unseren Unarten. Sie führte uns
Schuldbeladene mit dem Opfer, das welk über ihren Arm hing, zu unserer
Mutter, die die Puppe fortnahm, und ich weinte mich abends in den Schlaf vor
Sehnsucht nach der Heißgeliebten, so grausam Ermordeten.
Nach einigen Tagen dachte ich, meine Mutter würde sie uns geheilt
wiedergeben. Als sie aber gar keine Anstalten dazu machte, trieb mich die
heiße Sehnsucht zu der Bitte, Mutter möchte mir doch Adelchen
wiedergeben. "Nein", war die Antwort, "das habt ihr nicht
verdient, das Christkindchen hat die Puppe geholt, wird sie zu Weihnachten
reparieren und sie wohl den armen Kindern bringen." Traurig hörte ich
den Bescheid und dachte, ich hätte diese Strafe wohl verdient; nur dass
Adelchen für armen Kinder da sein sollte, konnte ich nicht verwinden.
Überhaupt, die "armen Kinder" waren vor Weihnachten ein Stein
des Anstoßes für mich, über den ich oft stolperte. Immer musste
man ihnen was weggeben von seinen Sachen! Meine Kleider schenkte ich gern fort,
auch meine sonstigen Spielsachen; nur wenn es eine Puppe wegzugeben galt,
zerriss es mit das Herz. Dazu sagte Mutter noch, wenn man den Armen nicht froh
und gern gäbe, so trüge das Geben keinen Segen. - Und nun war
Weihnachten da! Trotz Adelchens Verlust waren die Tage vorher wie sonst, voll
herrlichster Erwartung, voll kühnster Träume, glühendster
Wünsche, auf deren Erfüllung man mit Zittern wartete.
Ich hatte für meine Eltern ein Gedicht auswendig gelernt, dessen ersten
Vers ich mit mühsam steifen Buchstaben auf ein "Wunschpapier"
geschrieben hatte. Dieses Wunschpapier zu Weihnachten einzukaufen, war ein
herrliches Erlebnis. Es war ein feierlicher Augenblick, wo wir unter den
Flügeln unserer alten Wärterin in den Laden gingen, jedes sein
Fünfzehnkopekenstück in der Hand. Wir wählten in der
größten Aufregung und konnten uns immer nicht zum Einkauf
entschließen, bis unsere Wärterin für uns endlich die
Entscheidung traf. Mit unseren Wunschpapieren in den Händen, mit
klopfendem Herzen standen wir dann hinter der Tür des Weihnachtszimmers.
Nun öffnete sie sich weit; Mutter spielte den Choral, Vater stand neben
ihr am Flügel mit dem Neuen Testament in der Hand, aus dem wunderbare
Buchzeichen an bunten Bändern heraushingen. Wir sangen Weihnachtslieder,
hörten das Weihnachtsevangelium und wagten gar nicht, nach dem Baum oder
unseren Geschenken hinzuschauen. Das war uns nämlich von unserer alten
Wärterin fest eingeprägt, "ehe ihr euer Gedicht aufgesagt habt,
dürft ihr nichts sehen", und nun sollte ich mein Gedicht aufsagen.
Ich überreichte Vater mein Wunschpapier und fing an "Ihr Kinderlein,
kommet, o kommet", doch als ich so weit kam, da hatte ich meinen Blick
erhoben und nach dem Gabentisch hingeschaut. Was sah ich? In der Mitte des
Tisches saß mein Adelchen in einem neuen Kleide, mit wohlgefüllten
Körper und steif abstehenden armen. Über diesen Anblick vergaß
ich alles, ich stand mit weit geöffneten Augen da, und mein Herz stand vor
Seligkeit einen Augenblick still.
Ich verstummte und konnte mein Gedicht nicht weiter sagen. Mein Vater war ernst
und ein wenig streng. Pflichttreue und Selbstüberwindung mussten wir schon
als kleine Kinder zu üben versuchen. Er blickte missbilligend nach mir
hin, meine Mutter half mir, aber mein Gedächtnis ließ mich
vollständig im Stich, und ich brach in Tränen aus.
Trotzdem wurde der Abend noch schön. Tränenüberströmt
schloss ich mein Adelchen in meine Arme und beruhigte mich, als meine Eltern
sagten, sie wären mir nicht mehr böse.
Als ich abends in einem Bett lag mit Adelchen im Arm und mein Abendgebet
sprach, dankte ich zuerst dem lieben Gott für mein wiedergeschenktes Kind.
Dann kam eine hieße Bitte um Vergebung, dass ich meine Eltern so schwer
betrübt hätte, und dann ging alles unter in dem einen
Glückgefühl, dass die armen Kinder mein Adelchen nicht bekommen
hatten! Und den kalten Porzellankopf meiner Puppe fest an meine heißen
Kinderwangen gedrückt, schlief ich selig und dankbar ein.
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