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Kinderweihnacht
Weihnachtsgeschichte
von Monika Hunnius ( 1858 bis 1934 )
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Weihnachten!
Welch ein Zauber liegt in diesem Wort! Mir ist es immer, als öffnete sich
damit der Blick in den Sternenhimmel, und die Freude funkelte herab, auch in
die Dunkelheit trüber Zeiten. Man stellte seine Sorgenlast für eine
Weile beiseite und befreit seine Seele, damit sie hell dastehe, frei vom
Alltagsstaub, und das Licht aufnimmt und widerstrahlt, Liebe empfängt und
Liebe gibt. In wie vielen Herzen, die von der Not des Lebens dunkel geworden
sind, strahlt das Licht der Weihnachtsfreude, lehrt sie aufschauen und wieder
an das Licht glauben, wie viel Ohren, die sich verschlossen hatten, tun sich
auf bei dem Klang der Weihnachtsglocken und horchen auf die frohe Botschaft,
die uns allen verkündet wird. Kommt auch bald wieder der Alltag zu seinem
Recht, kommen auch die dunklen Seiten wieder, erlischt die Freude in manchem
Leben ganz, man hat doch immer wieder ins Licht schauen dürfen, man hat
den Klang der Weihnachtglocken gehört, man war doch wieder einmal froh
gewesen und hatte Liebe gegeben und empfangen. - Gesegnet sei darum unser
liebes Weihnachtsfest! -
Wir lebten in einer kleinen Stadt Estlands, unser Haus lag dich an der Kirche,
und das Glockengeläute an den Festtagen durchtönte es bis in den
letzten Winkel; dadurch hatten die Festtage bei uns ganz besonderes
Gepräge. Auch verstand meine Mutter so wunderbar, Feste zu feiern.
Es war so viel Freude in ihr, und die Freude ging wie ein großer Strom
voll Leben von ihr aus. Niemals aber empfanden wir das so stark wie in der
Weihnachtszeit.
Wie herrlich waren schon die Vorbereitungen! Die ganze Adventszeit war so
voller Erwartung; der bunte Adventsstern, der vom ersten Advent an in unserem
Zimmer hing, die Advents - und Weihnachtslieder, die wir mit unserer Mutter
sangen, und die Geheimnisse, die um uns entstanden! Es war gar kein Alltag
mehr, denn jeder Tag war durchrauscht von froher Feststimmung und Erwartung.
Wie köstlich war es, wenn Mutter dazwischen in ihrem Zimmer verschwand,
und wir nicht hineinkommen durften! Wenn sie auf Besorgungen ging, bei denen
wir sie nicht begleiten durften, und von wo sie mit großen,
geheimnisvollen Paketen wieder heimkam! Wie köstlich war es, auf dem
Fußboden von Mutters Zimmer dazwischen ein Stückchen Schaumgold zu
finden! Wir dachten ganz sicher, die Engel hätten es von ihren
Flügeln verloren.
Und dann war plötzlich der Weihnachtsabend da! Geheimnisvoll rauschend
wurde der Tannenbaum durch das Haus getragen, mit Herzklopfen lauschten wir, in
unserem Kinderzimmer eingeschlossen, wie die Zweige unsere Tür streiften.
Von diesem Augenblick an war das Wohnzimmer für uns den ganzen Tag
verschlossen. Unsere Puppen saßen schon längst festlich gekleidet
auf dem Fensterbrett und durften all die Herrlichkeiten früher als wir
sehen. Wir lagen auf dem Fußboden und versuchten, durch die Ritze der
Tür irgendeinen Schimmer der Herrlichkeit zu erspähen.
Ach, und wenn es dann Abend wurde, und die verschlossene Tür sich weit
auftat, Geheimnisse sich enthüllten und alles voll Glanz und Freude war!
Weihnachtsfreude, Kinderseligkeit, so oft geschildert, so oft besungen, wer
fände aber doch die rechten Worte, alles das ganz auszusprechen!
Es gab aber einmal ein Weihnachten, wo ich bitterlich weinte. Von diesem
Weihnachtsfest will ich erzählen.
Es war Adventszeit. - Ich hatte eine heißgeliebte Puppe, sie hieß
Adelchen, sie war groß, hatte einen Porzellankopf, himmelblaue Augen und
schwarze, angemalte Locken. Ich liebte sie über alles, und doch plagte
mich einmal die Neugierde, zu erfahren, was "in ihr drin" sei. Ich
teilte diese Sehnsucht meiner kleinen Schwester Elisabeth mit, und eines Tages
fassten wir den ruchlosen Plan, der Sache auf den Grund zu kommen. Wir
entkleideten Adelchen, bohrten und fühlten an ihrem Körper lange
herum, konnten aber nicht ergründen, woraus sie "gemacht" war.
Da ergriff ich eine Schere und schlitzte ihr den Leib auf. Ein Strom von
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