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Der
Schnee
Weihnachtsmärchen
von Sophie Reinheimer - Seite 2
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Anfang des Weihnachtsmärchen ]
"Wie kalt das ist", flüsterten die einen; "es ist nur gut,
dass uns Mutter Wolke unsere weißen Sternmäntelchen angezogen
hat." Sie waren sehr stolz auf ihre schönen weißen
Sternmäntel, und die kleinsten von ihnen tanzten in der Luft herum vor
lauter Vergnügen.
Ein Paar ganz große Flocken waren auch dabei, aber sie flogen schön
langsam und vernünftig ihres Weges daher und hielten auch die andern zur
Ordnung an.
"Nun macht eure Sache gut", sagten sie. "Und dass ihr nichts
vergesst! Und dass ihr schön leise macht, damit niemand im Garten
aufwacht, sonst ist`s mit der Überraschung vorbei."
Die Schneeflocken nickten stumm. Nun waren die ersten unten im Garten
angelangt. Nichts rührte und regte sich darin, alles schlief. Das war den
Schneeflocken gerade recht, denn sie hatten eine große Überraschung
vor. Leise wanderten sie zu den schlafenden Sträuchern und zu den
Bäumen hin und schmückten sie fein zierlich aus. Kein Zweiglein, auch
nicht das allerkleinste, wurde vergessen; es sah aus, als wäre alles in
Zucker getaucht. Und wie flink die kleinen Schneeflocken bei ihrer Arbeit waren
und wie leise sie sie taten. Es war sehr gut, dass es so viele Schneeflocken
waren; denn es gab eine Menge zu tun. Das Dach der Laube sollte einen
Mantelkragen bekommen, so wie es sich einen gewünscht hatte. Das war aber
gar nicht so leicht; denn die Laube war schon alt und hatte keinen so festen
Schlaf mehr. Sie knackste manchmal ganz unheimlich, so dass die Schneeflocken
sehr erschraken und schon dachten, die Laube könne aufwachen. Aber sie
hatte nur im Traum geknackst, so wie die Menschen manchmal im Traum sprechen.
Am meisten Arbeit aber machte doch die Decke für den großen
Rasenplatz. Die guten Schneeflocken gaben ihre eigenen Sternenmäntelchen
dazu her - viele, viele tausend davon lagen schon auf dem Rasen. Aber immer
noch war die Decke nicht dick und warm genug, und es mussten immer und immer
noch Schneeflocken vom Himmel herunterkommen und ihre Mäntelchen oben
drauflegen.
Endlich, endlich war die Decke fertig. Es war eine prachtvolle Decke - so
frisch und weiß und warm. Nun froren die armen Grashälmchen sicher
nicht mehr.
"Ist nun alles fertig?" fragten die Schneeflocken.
"Ach nein - ach nein", flüsterte es in allen Ecken und Enden,
"wir sind noch lange nicht fertig! Es sind aber auch so entsetzlich viele
Kappen, die wir aufzusetzen haben. Helft uns doch, helft uns doch, sonst kommt
der morgen und wir sind noch nicht fertig!" - Nun ging es aber husch!
Husch! An das Austeilen der Kappen. Jedes Ding im Garten, das noch nichts
bekommen hatte, bekam ein weißes Schneepelzkäppchen aufgesetzt,
jeder Stein, jeder Pfahl am Zaun, sogar die alte Pumpe bekam eins. Weil es aber
so arg in der Eile ging, kam es wohl vor, dass eins oder das andere eine
Mütze bekam, die ihm zu groß oder zu klein war - oder dass sie ihm
schief auf dem Kopfe saß. Aber das schadete nichts. Die Hauptsache war,
dass niemand vergessen wurde und dass man bald fertig war. Und man war bald
fertig. Nun brauchte keine Schneeflocke mehr zu kommen. Nur noch ein paar
wurden von der Mutter Wolke hinabgeschickt; die sollten nachsehen, ob die
andern ihre Sache gut gemacht hatten. Das hatten sie wirklich, man konnte mit
ihnen zufrieden sein. Und nun war wieder alles ganz still im Garten.
Aber dann am andern Morgen - das hättet ihr sehen sollen! Das war ein
Erstaunen, ein Jubel und eine Freude, als nach und nach alle aufwachten und die
Bescherung sahen. Die Sträucher wagten sich nicht zu rühren aus
Angst, etwas von dem herrlichen Schmuck zu verlieren. Der Rasenplatz war
glücklich über die schöne, warme Decke. Die alte Laube aber, die
sonst immer am ersten aufgewacht war vor Kälte, die wachte heute
zuallerletzt auf, so gut hatte sie in ihrem warmen Kragen geschlafen. Am
allermeisten Vergnügen hatten aber doch die Zaunpfähle.
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