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Chamäleon
Ein
Weihnachtsmärchen.
Weihnachtsmärchen
von Moritz Barach - Seite 3
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Anfang des Weihnachtsmärchen ]
Es war von einer Ecke der Stube in die andere gerannt, und hatte sich an die
Wände gestemmt, und daran so lange gedrückt und geschoben, bis der
junge Mann und das kleine Männchen sich nicht mehr in der kleinen Stube,
sondern in einem riesigen Saal befanden, von dessen einem Ende bis zum anderen
man die Gegenstände nicht mehr mit freiem Auge zu unterscheiden vermochte.
Plötzlich sah man an einem Ende des Saals eine Schar schwarzer
Männer.
Stolz und vornehm blickten sie nach dem jungen Mann, der den Drang fühlte,
sich ihnen zu nähern. Doch schon bei seinen ersten Schritten wandten sie
sich verächtlich von ihm ab. Um so rascher schritt nun der junge Mann auf
sie zu. Je näher er ihnen kam, desto schwärzer wurden er selber, bis
er endlich ihnen gegenüber stand, und so schwarz war wie sie.
Jubelnd ward er nun von den schwarzen Männern begrüßt, und sie
drückten ihn an die Brust, und überhäuften ihn mit Liebkosungen
und Geschenken.
Und als sich der junge Mann nach einer anderen Seite des Saals wandte, da sah
er wieder ein Schar weißer Männer.
Nun drängte es ihn wieder zu diesen hin. Und es ging ihm bei ihnen, wie
vorher bei den schwarzen Männern. Sie wandten sich im Anfang von ihm ab,
nahmen ihn aber, als er selbst so weiß war wie sie, entzückt in ihre
Mitte, und priesen ihn, und setzten ihn auf den besten Platz, und bedachten ihn
mit Ehren und Schätzen.
Und gerade so geschah ihm an anderen Stellen des feenhaften Saals, mit roten,
blauen, gelben, grünen und braunen Männern, die ihn alle mit gleichem
Enthusiasmus als einen der Ihrigen erkannte, sobald er selber ihre Farbe
annahm.
Auf diese Weise hatte der junge Mann erreicht, was ein Mensch zu erreichen
vermag. Er dachte nun an seine Mutter und seine Geschwister.
"Mutter!" wollte er im Bewußtsein seines Glückes rufen,
aber das Wort, das süße Wort, der Name, der sein Herz mit Wonne
erfüllte, erstarb ihm in der Kehle ...
Hatte er schon nach jeder Begegnung mit einer der farbigen Männerscharen,
und nachdem er sich bemüht hatte, ihre Farbe widerzuspiegeln,
gefühlt, daß seine Seele immer um ein Stück dabei
einschrumpfte, so war ihm jetzt, als er sämtliche Farben durchgemacht,
gerade so, als wäre von seiner Seele nur die runzelige Haut
zurückgeblieben.
Er kam sich nun trotz seines Glückes so elend, so nichtig vor, daß
er erzürnt die Stirn runzelte, und mit dem Fuße stampfte.
Es war ihm, als blicke er sich höhnisch und verächtlich ins Gesicht,
und wütend wollte er seinem eigenen Ich einen Faustschlag versetzen.
Tränen entperlten seinen Augen, die Sinne schwanden ihm, und er
stürzte zu Boden. Er fühlte, wie das kleine Männchen an ihm
heraufkletterte und ihm etwas aus einer eisigkalten Phiole in den Mund
gießen wollte, aber plötzlich brannten zwei warne Lippen auf dem
bleichen Mund des jungen Mannes.
Diese Lippen träufelten ihm einen milden Atem ein.
Dabei sprachen sie leise:
"Seele! richte Dich auf" Seele, erringe Deine Würde wieder! Dein
Bewußtsein sei dein Glück und Deine Kraft! ..."
Und der junge Mann fühlte die Lebenswärme wieder wohltuend in sein
Innerstes einziehen, und er tat einen tiefen Atemzug, und er schlug die Augen
auf, und er sah, daß seine Mutter, die milde, treue Frau, ihn in den
Armen hielt.
"Julius! Mein Julius!" sagte sie besorgt.
"Gottlob, es ist vorüber!" setzte sie nach einer Weile sanft
lächelnd hinzu, als der junge Mann sich aufrichtete und sie liebend
umarmte.
Am Weihnachtsabend aber war das Kistchen mit dem Springmännlein nicht auf
dem Christbaum.
Der junge Mann hatte es in kleine Stücke zertrümmert.
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