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Eisblumen
Weihnachtsmärchen
von Sophie Reinheimer ( 1874 bis 1935 )
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Nun
war draußen nirgendwo mehr eine bunte Blume zu sehen, die Beete im Garten
waren mit Tannenzweigen zugedeckt, die Rosenstöcke hatten eine warme
Strohkapuze über den Kopf bekommen, und auch die Blumenstöcke vorm
Fenster waren verwelkt, und man hatte sie fortgenommen.
"Schade", sagte das Sofa, das so recht behaglich hinter dem
großen Esstisch in der Stube stand und gerade auf das Fenster sehen
konnte. "Es war so hübsch, wenn die Blumen uns zunickten und uns
erzählten, was draußen auf der Straße vor sich ging." Die
anderen Möbel fanden das auch. Der Tisch meinte zwar, man solle nicht
klagen, denn jetzt fange die gemütliche Zeit für die Stube eigentlich
erst an! Im Sommer liefen die Menschen alle fort - hinaus in Garten, Wald und
Feld. Im Winter aber blieben sie hübsch in der Stube zusammen,
erzählten sich was oder lasen sich was vor, und so hörten sie - die
Möbel - doch eigentlich noch mehr als von den Blumen.
Das war wahr. Aber - schöner hatte die Stube doch mit den Blumen
ausgesehen, das war ganz sicher. -
Nun hört, was ein paar Wochen später eines Morgens den Möbeln
für eine große Überraschung aufblühte.
Es war bitterkalt draußen, und auch in der Stube war es in der Nacht so
kalt geworden, dass die Möbel die Betten in der Schlafstube beneideten,
die sich so schön mit warmen Federkissen zudecken durften. Da - als der
Schrank eben aus dem Schlaf erwachte, tat er vor Verwunderung einen lauten
Knacks.
Die anderen Möbel wachten alle davon auf, und was sahen sie? Das ganze
Fenster war von oben bis unten mit einer schneeweißen, glitzernden
Eiskruste bedeckt. Es war kein gewöhnliches, glattes Eis. Ganz sonderbare
Gebilde waren darauf zu sehn - wie Blumen, Blätter, Stiele, aber alles
ganz durcheinander - manchmal schwer zu erkennen.
"Was ist das nur?" fragte ganz leise das Sofa. Es war ganz benommen
von der weißen Glitzerherrlichkeit. "Ist der Glaser vielleicht heute
nacht da gewesen und hat heimlich andere Scheiben eingesetzt?"
"Vielleicht ist`s hier so ähnlich wie im Häuschen der
Hänsel - und - Gretel - Hexe", meinte der Spiegelschrank. "Die
Hexe, die in mir steht, wird die Scheiben in Zucker verwandelt haben."
Bei dem Wort "Zucker" machte die kleine schwarze Fliege, die auch mit
in der Stube wohnte, sich schleunigst auf den Weg. Aber ganz enttäuscht
kam sie bald zurückgeflogen. "Nein - es ist kein Zucker", sagte
sie. "Es schmeckt auch nicht ein bisschen süß! Aber so rau
ist`s wie Zucker, das ist wahr."
"Ich glaube, dass es Blumen sind", sagte das Gießkännchen.
Das Ofenrohr, das immer gleich ein bisschen oben hinaus war, sagte zwar:
"Ach - schwätzen Sie doch kein Blech!" Aber alle anderen in der
Stube gaben dem kleinen Gießkännchen recht.
Ja - wer hatte diese seltsamen schneeweißen Blumen aber nur so in aller
Herrgottsfrühe ans Fenster gezaubert? Die Möbel hätten es gar zu
gerne gewusst! Aber das Fenster - das einzige, das doch darüber hätte
Auskunft geben können - das war ganz starr und stumm, man wusste nicht,
war es das vor lauter Entzücken oder hatte es jemand mit den weißen
Blumen gleich mitverzaubert.
Horch - da klang plötzlich von der Straße her ein Lied:
"Der Winter hat heut über Nacht
Viel Blumen mitgebracht.
Eisblumen sind`s, Eisblumen sind`s -
Habt ihr`s euch nicht gedacht?
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