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Zwei
Weihnachtsgeschichten
Weihnachtsmärchen
von Sophie Reinheimer - Seite 2
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Anfang des Weihnachtsmärchen ]
"Ihr klaget, meine lieben Tannenkinderlein, dass es abends jetzt immer so
dunkel um euch ist. Dass die Sonne so spät aufsteht und so zeitig schlafen
geht und dass euch niemand Licht bringt in die dunkle Kinderstube.
Solange es Winter ist, muss ich schon diese Klagen von euch hören. Nun,
höret: So wie euch, so ist`s vor vielen, vielen tausend Jahren auch einmal
den Menschen ergangen. Damals, wisset - zu der Zeit, von der ich euch
erzählen will - da war das alles noch ganz, ganz anders als jetzt. Da
gab`s noch keine großen Städte und Häuser, da wohnten die
Menschen noch auf freiem Felde, in niedrigen Hütten und Zelten. Und in den
Hütten, wisst ihr - da brannte noch kein Gas und kein elektrisches Licht.
Nein, die Menschen, die zu der Zeit lebten, die hatten fast kein anderes Licht
als die Sonne.
Wenn nun der Winter kam und die Sonne immer früher schlafen ging und immer
später aufstand, dann klagten die Menschen, gerade wie ihr, über die
viele, viele Dunkelheit. Sie konnten es ja wohl verstehen, dass Frau Sonne nach
all der vielen Arbeit im Sommer, nach dem Immerfrühaufstehen und
Spätzubettgehen nun den Winter dazu benutzen wollte, sich erst einmal
tüchtig auszuschlafen. Aber sie hofften doch recht sehr, dass das
Ausschlafen nicht gar zu lange dauern werde; denn die Dunkelheit war doch zu
schrecklich.
Und endlich war die Zeit gekommen, als Frau Sonne sich in ihrem weißen
Wolkenbett umwendete, sich die Augen rieb und lächelnd sagte: "So,
ihr lieben Menschenkinder, nun bin ich nicht mehr ganz so müde, nun kann
ich wieder alle Tage ein bisschen früher aufstehen und ein bisschen
später schlafen gehen, - freut euch nun wird`s allmählich wieder
heller werden auf der Erde."
Da hättet ihr die Menschen aber mal sehen sollen; sie wussten sich vor
Freude nicht zu lassen. Ihre Hütten schmückten sie mit grünen
Zweigen aus, steckten Freudenfeuer an und kochten und brieten, sangen frohe
Lieder und feierten ein großes Fest. Das Fest, das nannten sie das Fest
der Wintersonnenwende. - - -
"Doch! Doch! - Ja, ja!" nickten die Bäumchen. Sie waren noch
ganz erfüllt davon. Und etliche, die seufzten ganz leise.
"Passt auf - nun kommt aber noch das Schönste!" sagte
Tannengroßvater. "Frau Sonne machte es nun alle Jahre so. Alle, alle
Jahre - bis heute noch. Die erste Zeit im Winter, da schläft sie;
schläft sich aus. Deswegen habt ihr sie jetzt auch so wenig gesehen.
Nun aber - nun ist wieder die Zeit, da Frau Sonne sich in ihrem weißen
Wolkenbette umwendet und verspricht, wieder früher aufzustehen und
länger aufzubleiben. Nun ist die längste Winternacht vorbei, und das
Licht wird wieder auf die Erde kommen."
"Gr - Großvater - - woher weißt du das?"
"Großvater - da müssen wir ja ein Fest feiern!"
"Wir feiern ja eins", sagte der Tannengroßvater.
"Weihnachten - so nennt man es heute. Es ist dasselbe wie das frühere
Wintersonnenwendefest." - - -
"So? Soo? Aach - so?"
Es war ein großes Staunen in der Kinderstube. Ein Staunen und eine
Freude. Und gerade in diesem Augenblick klang unten vom Dorfe herauf das
Läuten der Glocken. So schön, so feierlich. "Die
Weihnachtsglocken", sagte die Tannenmuhme; "hm, hm", und sie
räusperte sich ein bisschen dabei.
"Sie läuten vor Freude, weil das Licht nun wieder in die Welt kommen
wird; Tannenmuhme - nicht wahr?"
"Hm! Hm!" Die Muhme räusperte sich noch mal, ein bisschen
stärker. "Ja", sagte sie dann. "Aber sie meinen noch ein
anderes Licht."
"Noch - ein - anderes Licht?"
"Ja. - Hmm! Hmm!" Und zum drittenmal räusperte sich die alte
Tannenmuhme, sah nach dem Großvater hinüber und schüttelte den
Kopf.
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