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Zwei
Weihnachtsgeschichten
Weihnachtsmärchen
von Sophie Reinheimer ( 1874 bis 1935 )
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Nun
kam es immer, immer näher, das Weihnachtsfest. Auch im Dorfe unten fing
man an, sich schon dafür zu rüsten. Kinder kamen mit Körbchen
herauf in den Wald und holten Tannenzweige. "Zum Schmücken",
sagte die Muhme Tanne. "Damit schmücken sie die Stuben aus."
Aus dem Schornstein des Bäckerhauses stieg den ganzen Tag ein dicker
schwarzer Rauch auf, ein Zeichen, dass da mächtig gebacken wurde. Das
Rotkehlchen und Frau Tannenmeise konnten denn auch gar nicht genug
erzählen von den herrlichen braunen, süßduftenden Kuchen, die
durch die Dorfstraßen getragen wurden.
"Hoffentlich wird man nicht vergessen, uns dazu einzuladen", meinte
Frau Tannenmeise.
Auch dem roten Postauto unten auf der Landstraße konnte man es anmerken,
dass irgendwas besonderes los war. Gewöhnlich barg es die Pakete in seinem
Inneren; jetzt aber war das ganze Postwagendach damit vollbeladen, und sogar
der Fahrer vorn am Steuer hatte noch welche neben sich.
Was mag da alles darin sein! Dachten die Tannenkinder. Und ein kleines
Dummerchen fragte: "Wann kommt denn endlich das Paket für uns?"
Ui je! Wie wurde es da ausgelacht, das Kleine.
"Als ob Tannenkinder Pakete bekämen!"
"Warum den nicht?" fragte das Tännchen. Und es dachte: Wenn wir
Tannenbäume doch zu Weihnachten solche Hauptpersonen sind - warum sollen
wir hier oben denn gar nichts von der Weihnachtsfreude abkriegen?
"Nun - wir wollen es abwarten", sagte die Muhme Tanne.
"Vielleicht werdet ihr doch euer Teilchen Freude mitbekommen."
Nun war der heilige Abend da.
Freilich - hier oben im Tannenwalde merkte man nichts von all dem Lichterglanz,
der heute die Welt erfüllte.
Dunkel und still wie an jedem anderen Abend war`s in des Tannenwalds
Kinderstube auch heut! Nur im Dorfe unten sah man mehr helle Fensterlein als
sonst, und die Tannenkinder wussten, das viele Licht kam von all den
Christbäumen, die hinter diesen Fenstern brannten.
Was wohl ihre Schwesterlein und Brüderlein jetzt machten? Wie gerne
hätten sie sie mal gesehen in ihrem Kettenschmuck, mit ihren goldenen
Haaren und den Lichtchen.
Ob die kleinen Sterne, die heute wieder da oben am Himmel standen, die
Schwesterchen und Brüderchen wohl jetzt sehen konnten?
"Sicher", meinte die Muhme. Und dann meinte sie noch: "Den
Sternlein wird es wohl heut Abend so ähnlich gehen wie euch. Manches von
ihnen möchte auch wohl gerne seinen Platz vertauschen und heut lieber mal
ein Stern auf einem Weihnachtsbaume sein."
"Hm!" machten die Tannenbäumchen; und dann kamen sie sich samt
den Sternlein doch eigentlich recht bemitleidenswert vor in ihrer Einsamkeit
hier, so im Dunkeln. - -
Nun stand da im Walde - gar nicht weit von der kleinen Gesellschaft - ein ganz
alter, morscher Tannenbaum mit einem langen grauen Flechtenbart.
"Großvater" nannten ihn die Tannenkinder und hatten schon immer
eine ganz besondere Freundschaft mit ihm gehabt. Grüße und
Kusshändchen winkten sie ihm zu, und gar zu gerne hätten sie ihn auch
mal an seinem schönen grauen Bart gezupft. Na - dem Tannengroßvater,
dem tat es sehr leid, dass die kleinen Tannenkinder heut am Heiligabend so
still und so traurig waren. Ich werde ihnen eine Geschichte erzählen,
dachte er. Eine Geschichte, die ihnen Freude machen wird.
Und also gleich begann er:
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