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Ein Weihnachtabend

Das Schwesterlein

Weihnachtsgeschichte von Ottilie Wildermuth ( 1817 bis 1877 )

Der kleinen Margret war's in Wahrheit, als sei sie gestorben und wache nun auf im Himmel, als sie ihre Augen wieder aufschlug und in einer schönen Stube in einem weichen, warmen Bett lag; neben ihr saß die freundliche Frau Soden und in ihrem Lehnstuhl am Bett Gabriele, die durchaus sehen wollte, wie ihr Schwesterlein aufwache. "Ja, was ist's denn? wo bin ich denn?" fragte sie fast ängstlich. "Bei mir bist du," lachte Gabrielchen herzlich, wie sie die Mutter schon lange nicht hatte lachen hören. "Jette soll dir Frühstück bringen!"
Das Kind war bald wieder gesund und rotbackiger als vorher in der Stube der Wäscherin. Gabriele wollte ihr neues Schwesterlein nicht wieder hergeben, und die Eltern waren glücklich, wenn sie nur etwas wussten, das ihr krankes Kind glücklich machte.
Frau Bendel war nun freilich sehr in Sorge gekommen um das kleine Mädchen, als sie die Stube leer gefunden und niemand ihr etwas von dem Kinde sagen konnte. In ihrer Angst ging sie auf die Polizei; dort hatte Herr Soden schon angezeigt, dass er ein verlaufenes Kind einstweilen in seinem Haus aufgenommen habe, und der alte Polizeidiener mit den Maulaffen führte die Wäscherin selbst in des Kaufmanns Haus. Da kam Margretchen in große Angst, sie müsse jetzt mit der Wäscherin zurück in die enge Gasse und in die dunkle Stube und es werde ihr schlecht gehen, weil sie noch einmal fortgelaufen. Inzwischen hatte Herr Soden mit der Wäscherin geredet und gehört, dass Margret das Kind von dem treuen Diener seines Vaters sei, der in seinem Dienst verunglückt war. Um so lieber nun sagte er der Frau Bendel und dem Polizeidiener, dass er die Kleine ganz behalten wolle als ein Schwesterlein für sein krankes Kind.
Margretchen war glückselig. Ihr war in ihrem Leben nicht so wohl gewesen, als bei den guten, freundlichen Leuten in den hellen, weiten Räumen und bei all den schönen Sachen. Das wusste sie, dass man Gott und gute Menschen nicht besser danken kann, als durch Liebe und Gehorsam. So wurde sie eine freundliche, gefällige und geduldige Schwester für Gabriele. Ach, wie schön konnte sie die Puppen anziehen; was kochten die Mädchen für herrliche Gastmahle in der kleinen Küche! Es wurde dann die ganze Puppenfamilie dazu geladen, die lehnte steif und kerzengerade auf den Stühlen, während die kleinen Köchinnen die Mahlzeit selbst verzehrten. Jetzt erst fand Gabriele Freude an ihren Sachen.
Die Eltern hofften eine Weile, ihr Gabrielche werde nun wieder ganz gesund, weil sie so froh und glücklich war mit der neuen Schwester. Aber der liebe Gott hatte ihr noch ein viel glücklicheres Plätzchen zugedacht. Gabriele wurde zusehends schwächer, während Margretchen aufblühte wie ein Röslein. Im Frühling trugen sie die Kranke ein letztes Mal in den Garten; man hatte ihr einen weichen Sitz zwischen den Blumenstöcken bereitet. "Margretchen," sagte Gabriele leise, als die Mutter ins Haus gegangen war, um ihr eine Erfrischung zu holen, "Margretchen, ich weiß, dass ich jetzt bald in den Himmel komme; ich will's nur nicht laut sagen, weil die Mama so weint. Vielleicht sehe ich deine liebe Mama im Himmel, was soll ich ihr sagen?"
"O, sag ihr viel tausend herzliche Grüße und dem Vater auch, und es gehe mir so gut und sie sollen nur recht lieb gegen dich sein, weil du so gut gegen mich gewesen bist. Weißt, im Himmel ist meine Mama nicht mehr arm," sagte sie beruhigend. An einem schönen Abend war das Kind sanft eingeschlafen und es hat ihr nun gar, gar nichts mehr weh getan. Sie schmückten ihr Grab mit den allerschönsten Blumen, recht wie ein schönes Gärtchen.
Margret war eine liebe, treue Tochter für die armen Eltern und oft, oft redete sie mit der neuen Mutter von ihrer lieben Schwester im Himmel.
Seite: Seite 1 - Das Schwesterlein

Ein Weihnachtabend:
1. Ein Weihnachtabend
2. Margretchen allein
3. Gabriele
4. Margret verirrt sich wieder
5. Gabrielens Christabend
6. Das Schwesterlein






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