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Das Christkindlein

Weihnachtsgeschichte von Karl Heinrich Caspari (1815 bis 1861)

Es ist wunderbar, wie unser Herrgott manchmal einem Menschen eine Todesahnung ins Herz gibt und hernach sie wirklich in Erfüllung gehen lässt.
Seit dem Jahre 1573 haben die Eschauer ihren Gottesacker, der ursprünglich die Kirche umgab, von da hinweg und hinaus vor das Dorf auf den Berg verlegt. Warum sie`s getan, - ob der bisherige Gottesacker zu klein geworden, oder ob man schon vor dreihundert Jahren es für ungesund gehalten, den Gottesacker im Ort zu haben, oder ob sie vielleicht gemeint, da draußen auf dem Berg - neben dem stillen, schweigenden Wald, von dessen Höhen alljährlich im Frühling ein Wasserstrom ins Tal herabrauscht, zu verkünden, dass droben der Schnee schmilzt und der Winter bald aus ist, - sei der Ruheplatz besser gewählt für die, welche des großen Ostermorgens und ewigen Frühlings harren, als unter den Gassen des Dorfes, oder ob sie den trauernden Hinterbliebenen eine Andeutung geben wollten, die Toten seien dem Himmel bereits näher, als die Lebenden, oder ob sie irgend einen andern Grund hatten, - wer will das heutzutage noch fragen? - seit aber der Gottesacker auf dem Berg vor dem Dorfe ist, geht der Totenweg durch die sogenannte "Vorstadt", am Ende derselben den Berg hinan, dann aufwärts unter den Birn - und Apfelbäumen hin durch das altersgraue Tor des Gottesackers zum Grabe, - wo des Totenweges Ziel ist. Durch die sogenannte "Vorstadt" nun ging am 11. Dezember des Jahres 1738 ein Mann, der manches Jahr jede Leiche das Geleite bis zum Gottesacker und den Segen des Herren mit ins Grab gegeben hatte, der Pfarrer des Dorfes, Georg Christoph Gerner.
Es war früh am Tage und die Leute schliefen noch, und als er den Weg hinabging in der ersten Morgendämmerung, muss ihm eingefallen sein, dass der Weg der "Totenweg" sei. Denn als er an das große hölzerne Hoftor kommt, das oberhalb des jetzigen Hirschwirtshauses ist, steht er mit einem Male still, sieht sorgsam sich um, ob niemand ihn bemerkt, zieht dann ein Stückchen Kreide aus der Tasche und fängt an, ans Tor zu schreiben. Als er geschrieben, geht er seines Weges weiter, wie er meint, gesehen von keinem.
Aber der Meister Schuster gegenüber war just aufgestanden und hatte die Scheiben gewischt und durchs Fenster hindurch den Pfarrer stehen und schreiben gesehen, und als dieser das Brücklein über den Bach überschritten hat und nicht mehr zu sehen ist, geht der Schuster aus seinem Hause herüber ans Tor, zu sehen, was sein Pfarrer dahin geschrieben. Da liest er in großen Buchstaben:
"Hier trägt man die Toten vorbei,
Wer weiß, wer zunächst an der Reihe sei?"
Das wusste nun freilich in dem Augenblick der Schuster auch nicht, - nach fünf Tagen aber, nämlich am 16. Dezember, wusste er`s. Die Worte standen noch am Tor, lesbar für jedermann, und vorbei - trug man den, welcher sie geschrieben.
Es war der alte Pfarrer schnell und unvermutet an einem Schlaganfall verschieden und war ihm nur noch so viel Zeit noch geblieben, Weib und Kinder zu segnen, seinen Leichentext zu wählen und das Mahl seines Erlösers von einem schnell herbeigerufenen Amtsbruder sich reichen zu lassen, dann war "die Reihe an ihn gekommen," sich hinaustragen und in sein enges Haus auf dem Gottesacker zur Ruhe legen zu lassen, - ein müder Hirte unter seiner schlafenden Herde.
Er hält seinen Christtag im Himmel, sagte ein Bauersmann auf dem Heimweg vom Gottesacker zu der Pfarrerin und ihrem Häuflein Kinder, um ihnen einen Trost zu geben, es war ein gottesfürchtiger, lieber Herr! Gott tröste ihn! - Er wird leuchten, wie des Himmels Glanz, sagte der alte Präzeptor, denn er hat viele zur Gerechtigkeit gewiesen.
`s ist ihm wohl, sagte eine Nachbarsfrau, aber der Pfarrerin und ihren Kinder war`s nicht wohl, und dem kleinen Andres, obwohl er nicht zu der Pfarrersfamilie gehörte, und dem Vetter Weigand in Michelstadt - auch nicht, als er die Todesnachricht empfangen hatte.
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