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Eine
Weihnachtsgeschichte
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel - Seite 2
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Dann kommt nun der Weihnachtsabend selber, und mit ihm die gute Tante Amalie,
die mich schon so oft auf die Strümpfe gebracht hat, denn sie strickt mir
immer so schöne, warme, und ihr Dienstmädchen trägt einen
höchst verdächtigen Korb, und mit Tante Amalie kommt Cousine Helene,
meine kleine Feindin. Sie ist nun eigentlich kaum meine Cousine, denn die
Verwandtschaft ist so künstlich, dass Tate Amalie fünf Minuten
braucht, um sie auseinander zu setzen, und ich sie noch nie begriffen habe.
Aber wir nennen uns Cousine und Vetter und du, denn wir kennen uns schon von
der Zeit an, als Tante Amalie die kleine zehnjährige Weise zu sich nahm,
und das ist nun gerade acht Jahre her. "Kinder vertragt euch!" ist
das erste, was Tante Amalie zu uns sagt; sie weiß aus Erfahrung, dass es
dieser Warnung bedarf, denn wir stehen im allgemeinen auf dem Kriegsfuß.
"O, ich werde schon mit ihm fertig!" sagte Helene mit einem kleinen
Trotzblick, der wenig Gutes verspricht. Die Mutter und Tante Amalie
verschwinden zu heimlichen Vorbereitungen in den Festgemächern, und ich
petitioniere ebenfalls um Zulassung, da ich - mit einem Blick auf Helene - doch
nicht mehr zu den Kindern zu rechnen sei. "Nehmt den alten Meergreis nur
mit," meint sie, aber es wird mir nicht gestattet. "Schenkst du mir
denn auch etwas, Helenechen, mein Schwänchen?" fragte ich mit einem
alten Kinderreim. Sie ist immer schlagfertig: "Ich schenke dir kein
Tränchen, doch Tante Malchen schenkt dir was für deine langen
Benechen," sagt sie schnippisch. -"Ich weiß auch gar
nicht," lässt sich der biedere Paul vernehmen, "ihr hackt euch
doch immer, wo ihr euch seht."
"Du ahnungsvoller Engel, du," meint Helene und streichelt sein
würdiges Haupt. - "Hast du schon mal einen Engel gesehen," fragt
Hermann nun ironisch, "der karierte Hosen anhat und heimlich Zigarren
raucht?" - "Ihr seid schrecklich. Alle miteinander," sagt
Helene, "ist das eine Weihnachtsstimmung und sind das
Weihnachtsgespräche?" - "Das ist nur äußerlich,"
meine ich, "innerlich, da sind Lichter in unseren Herzen angezündet
und das Gemüt ist voll Weihnachtsduft."
"Um Gottes willen!" seufzt Helene.
Das Klavier steht geöffnet. "Lasst uns singen," bitte ich. -
Helene sieht mich fast dankbar an: "Aber was denn?" - "Unser
Weihnachtslied: "Morgen, Kinder, wird`s was geben, morgen werden wir uns
freun`." Und nun wird es gesungen, das alte harmlose Lied, das eigentlich
gar nicht mehr passt, da dies "Morgen" schon heute ist. Dann singt
Helene mit ihrer klaren Stimme: "O du fröhliche, o du selige,
gnadenbringende Weihnachtszeit . . ." und dann: "Es ist ein Ross
entsprungen . . ." und dann mit einmal tönt die Glocke, und der
Moment, der so manches Mal mein Herz mit süßem Schauer erfüllt
hat, ist da.
Der Weihnachtsbaum, mit Silber - und Goldketten, Fähnchen, Netzen und
Sternen und mancher verlockenden Frucht behangen, strahlt mir entgegen, ach,
nimmer so herrlich wie einst, da sein Glanz durch das ganze Jahr einen
wärmenden Schein breitete und schon lange vorher beim Ausblasen einer
Wachskerze das Herz in süßem, ahnungsvollem Schauer erbebte:
"Es riecht nach Weihnachten."
Wir suchen nun jeder den Ort, wo ihm die Liebe etwas aufgebaut hat. Selbst
Polly und Murr sind nicht vergessen. Jenem ist unter dem Tisch auf einem
Schemelchen die delikate Knackwurst in einem Kranz von Pfeffernüssen
zugedacht und ein eigenes Lichtlein dabei angezündet. Der würdige
Kater dagegen findet seine Bescherung auf seinem Lieblingsplatz, dem
Fensterbrett. Sie besteht in einem Schälchen Milch und einem Halsband mit
seinem Familiennamen, von Helenes kunstfertiger Hand gestickt. "Es ist
eigentlich unchristlich für so unvernünftige Tiere," sagt Tante
Amalie, aber sie lächelt doch im stillen darüber. Das heimliche
Packet, das Paul vorhin so schnell verbarg, gibt sich als ein aus Holz
künstlich gesägter Gegenstand zu erkennen, der in Gestalt eines
lustigen Schweizerhäuschens meiner Taschenuhr zum nächtlichen
Wohnplatz dienen soll. Er hat überhaupt diesen Industriezweig auf alle
Anwesenden ausgedehnt. Tante Amalie meint: "Du hast uns wohl alle
besägt."
Plötzlich wird die Tür aufgerissen und die zu einer
unnatürlichen tiefe verstellte Stimme des Dienstmädchens lässt
sich vernehmen: "Julklapp!" und ein in Papier gewickelter Gegenstand
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