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Eine
Weihnachtsgeschichte
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel ( 1842 bis 1906 )
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Es
hatte vierzehn Tage lang gefroren wie in Sibirien. Auf dem höchsten Berg
im Lande saß der alte Wintergreis mit seinem bläulichen Gewande und
seinem lang hinstarrenden Schneebart, und ihm war so recht behaglich zu Mute,
wie einem Menschengreise, wenn er hinter dem Ofen sitzt und das Essen ihm
geschmeckt hat und alles gut geht. Zuweilen rieb der alte Winter sich vor
Vergnügen die Hände - dann stäubte der feine, schimmernde Schnee
wie Zuckerpulver über die Erde; bald lachte er wieder still vor sich hin
und es gab Sonnenschein mit klingendem Frost. Der schneidende Hauch seines
Mundes ging von ihm aus und wo er über die Seen strich, zerspaltete das
Eis mit langhindonnerndem Getöse, und wo er durch die Wälder wehte,
zerkrachten uralte Bäume von oben bis unten.
"Habe Erbarmen, alter Wintergreis!" flehte ich, "und lass ab,
denn es ist Weihnachten und ich muss pelzlos nach Hause reisen." Der Alte
fühlte ein menschliches Rühren, lehnte sich mit dem Rücken gegen
die uralte Eiche, die auf dem hohen Berge steht, schloss die Augen und
drusselte ein wenig. So gelangte ich denn ohne Gefährde in meine
Vaterstadt zu meiner Mutter. - Wohl dem, der noch eine sichere Stätte hat
in der weiten Welt, wo er sich geliebt weiß, wo die treuen Augen der
Mutter auf ihn sehen, die schon voll Liebe auf ihm ruhten, als er noch klein
und hilflos auf ihrem Schoße spielte. - Da bin ich wieder in den kleinen,
wohlbekannten Zimmern, und die freundlichen Augen werden nicht müde, mich
zu betrachten; ich muss erzählen, wie es mir ergangen ist, und auch das
Kleinste ist dabei nicht zu unwichtig. Dann stürmt mein Bruder Hermann ins
Zimmer, der Primaner und Naturforscher, und kaum hat er mich
begrüßt, so erzählt er schon. "Du, Eduard, die
Eislöcher auf dem großen See wimmeln von nordischen Enten, die hier
überwintern, und am Schlossgartenbach habe ich wieder Eisvögel
beobachtet." - Polly, der braungefleckte Wachtelhund, ein
außerordentlich gebildetes Tier und Zögling meines Bruders, springt
in ausgelassener Wiedererkennungsfreude an mir empor und muss sofort seine
neuerlernten Künste zeigen. Dann kommt auch Murr, der weiße,
gelbgestreifte Kater, reserviert wie Katzen sind, leise gegangen und reibt sich
schnurrend an meinem Knie, auch er hat mich nicht vergessen. Er hat
Menschenverstand , wie meine Mutter sagt, und wenn er zuweilen des Abends
würdevoll mit dem um die Vorderfüße geringelten Schwanz auf der
Sofalehne sitzt und einen der Sprechenden nach dem andern aufmerksam anblickt,
so ruft meine Mutter oft plötzlich, wenn von Geheimnissen die Rede ist:
"Sprecht doch leise, der Kater versteht ja alles!" - Und von
Geheimnissen wimmelt das Haus jetzt förmlich; da erscheint Paul, der
Jüngste, der Obertertianer, der noch gar nicht weiß, dass ich
gekommen bin, plötzlich in der Tür, etwas leicht in Papier
Geschlagenes in der Hand tragend. Aber kaum hat er mich erblickt, als er, statt
mich zu begrüßen, voll Entsetzen wieder hinausspringt und erst nach
einiger Zeit ohne das Packet mit vergnügtem Lächeln wieder
zurückkehrt. "Feine Schlittschuhbahn," lautet sein Bericht,
"wir sind gestern schon nach Nusswerder gelaufen, der großen See ist
ganz zu."
Dann wird alles revidiert im ganzen Hause, das Alte, ob es noch das Alte ist,
und dann das Neue. Alle die bekannten Ecken und Eckchen, aus denen die
Erinnerung lächelt, die alten Bücher, aus denen dem Kindersinn der
Zauber der Dichtung empor blühte. Selbst der Garten wird aufgesucht, und
dann geht es den Gang zwischen bereiften Hecken hinunter zum See, der weit in
seiner glänzenden Eisdecke schimmernd daliegt, denn hier hat es gar nicht
geschneit, und es ist eine Schlittschuhbahn wie selten. Ich probiere einmal
vorläufig das Eis, und dann geht es wieder zurück zu den
Stübchen meiner Brüder. Dort sind Hermanns selbst erzogene
afrikanische Finken zu bewundern, ausländische Schildkröten und
Molche und andere naturhistorische Errungenschaften. Paul hat aus Holz
gesägte Sachen vorzuzeigen, und eine heimliche Zigarrenspitze, deren
vorzügliche Angerauchtheit, und eine unerlaubte Pfeife, deren echten
Weichholzgeruch ich bewundern muss.
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