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Eine Weihnachtsgeschichte

Weihnachtsgeschichte von Heinrich Seidel - Seite 4

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vor ihrem Weihnachtstische stehend, nach Mädchenweise stets von neuem die Geschenke und Geschenkchen zierlich ordnet und eingehend betrachtet. Sie steht abgewendet von mir und nur zuweilen bei einer Bewegung zeigt sich das zierliche Profil ihres Gesichtes. Die kleinen widerspenstigen Löckchen, die sich nicht dem allgemeinen Gesetz der Haartracht fügen wollen, umgeben wie ein goldener Schimmer das Köpfchen.
Da knistert wieder eines der Lichter am Baume in die Nadeln, ein kurzes Aufleuchten, und es ist erloschen, das ganze Zimmer ist schon von dem Weihnachtsduft der Nadeln und Lichter erfüllt. Meine Blicke wenden sich wieder zu Helene. Sie blättert gerade in einem kleinen Büchlein, das ich ihr für ihre Mädchenminiaturbibliothek geschenkt habe. Meine Gedanken fangen an, eigentümliche Wege zu gehen. Es ist wieder Weihnachten und ein blitzender, strahlender Tannenbaum aufgebaut und zwei Menschen stehen davor Hand in Hand und schauen sich in die Augen, aus denen es noch viel schöner leuchtet, denn das Glück schimmert daraus hervor. Und merkwürdig - diese zwei Menschen sind Helene und ich. Und meine Phantasie arbeitet weiter, denn die Phantasie tut nichts halb, und ich höre ganz deutlich das Blasen von Kindertrompeten und das Stampfen von kleinen Steckenpferdreiterbeinchen und glückseliges Kinderlachen . . .
"Eduard, du schläfst wohl?" fragt Helene plötzlich. - "Ich träume nur," antwortete ich mit einem halben Seufzer. - "Kinder, kommt zum Essen!" ruft die Mutter aus dem Nebenzimmer.
Am zweiten Weihnachtstag war ich zu Mittag bei Tante Amalie eingeladen und nachher wollten Helene und ich auf den großen See zur Einweihung der neuen Schlittschuhe, die sie zu Weihnachten bekommen hatte. Aus den kleinen, zierlichen Zimmerchen der Tante stiegen neue Kindererinnerungen hervor. Ich kannte dort alles, das feine, geblümte Porzellan, die alten Kupferstiche an den Wänden, die alte, schwarze Rokokouhr mit dem Sensenmann, die eine so sonderbare Gangart hatte, dass man alle Augenblicke meinte, sie müsse stille stehen, die alten verblichenen Stickereien und die hundert zierlichen Kleinigkeiten auf der Spiegelkommode. Am Fenster standen dieselben Lieblingsblumen, und derselbe feine Duft herrschte in dem Zimmer, der mich als Kind schon immer so feierlich stimmte und der mir in der Fremde, wenn ich ihm begegne, unwiderruflich meine gute Tante vor Augen zaubert.
Nach Tische zog sich Helene das enganschließende Pelzjäckchen an und hüllte den Kopf in eine blauseidene Kapuze, aus deren weißem Schwanbesatz das frische Gesicht mit dem blonden, widerspenstigen Löckchenkranz gar anmutig hervorschaute.
"Was siehst du mich denn so an?" fragte sie plötzlich.
"Ich freue mich über meine hübsche Cousine," antwortete ich. - Ihr stieg ein klein wenig Rot in die Stirne, und sie sprach rasch: "Du gewöhnst dir wohl auf deine alten Tage das Schmeicheln an."
Wir gelangten nach kurzem Wege an den See. Der alte Wintergreis auf seinem hohen Berge schlief noch immer. Es war noch nicht Tauwetter, allein durch die Stille der Luft erschien es wärmer, als es war, und die Sonne hatte am Tage so viel Macht, dass sie die gefrorene Erde an der Oberfläche auftaute.
"Wir laufen doch zum Nusswerder?" fragte Helene, als wir die Schlittschuhe angeschnallt hatten. "Wie du willst!" war meine Antwort, "die Bahn ist ja noch weiter abgesteckt."
Unterdes hatten wir uns in Bewegung gesetzt und waren auf die breite, mit Büschen und Stangen angedeutete Bahn gelangt, die jedes Jahr abgesteckt wurde, um einen ungefährlichen Weg zu den beliebten Vergnügungsorten zu bezeichnen.
"Wir bleiben doch nicht auf der langweiligen Bahn?" fragte Helene und ihre Blicke schweiften über die weite, schimmernde Eisfläche hinaus.
Plötzlich ward ein fröhliches Stimmengewirr hinter uns hörbar, und brausend kam ein Schwarm von Schülern herangefahren und zog, die Mützen schwenkend, an uns vorüber. Ein einzelner sonderte sich von ihnen, es war Hermann.





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