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Eine
Weihnachtsgeschichte
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel - Seite 5
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Anfang der Weihnachtsgeschichte ]
"Ich wollte dir nur sagen, Eduard, geht lieber nicht nach den
Entenlöchern und weicht überhaupt nicht weit von der Absteckung ab.
Es sind viele von den Vögeln eben verlassene Stellen da, die nur ganz
leicht überfroren sind und sich sehr wenig von dem übrigen Eis
unterscheiden. Es tut mir nur leid, dass ich jetzt mit meinen Kameraden laufen
muss, sonst würde ich euch gern dahin geleiten, ich weiß genau dort
Bescheid, denn ich habe manche Stunde daselbst mit dem Fernrohr zugebracht und
nach den Enten gesehen. Morgen können wir ja einmal zusammen dorthin
laufen!" - Damit eilte er mit doppelter Geschwindigkeit den übrigen
nach, und bald hatte ihn das schwarze Häuflein wieder eingeschlungen.
Wir glitten ein Weile schweigend dahin. Manchmal schaute ich seitwärts auf
Helenes zierliche Gestalt, wie sie so ebenmäßig und anmutig
dahinfuhr und wie der Luftzug die Kleider an die schönen Linien ihres
Körpers schmiegte. Endlich standen wir eine Weile. Vor uns lag Nusswerder
noch in ziemlicher Entfernung, von feinem, violetten Duft des Winters
angehaucht; seitwärts über den See hinaus erblickte man in der Ferne
eine dunkle Linie über dem Eise, und darüber schwärmte es ab und
zu von unzähligen Möwen.
"Da sind die Enten," sagte Helene, "ich möchte sie gar zu
gerne einmal in der Nähe sehen."
"Du hast ja gehört, was Hermann sagte," antwortete ich.
"Komm, in einer Viertelstunde können wir auf Nusswerder sein."
"Ich fürchte mich gar nicht," sagte Helene, indem sie einen
kleinen, zierlichen Bogen schlug, und mir dann gerade ins Gesicht sah; "du
bist doch ein rechter Sicherheitskommissarius."
"Ich für meinen Teil würde mich nicht scheuen, das weißt
du auch recht gut, Helene, ich bin noch im vorigen Jahre allein dort gewesen
und kenne den See, allein ich darf es jetzt deinetwegen nicht, ich bin
dafür verantwortlich, wenn ein Unglück geschieht."
"Ich brauche deine Verantwortlichkeit gar nicht," sagte sie,
verächtlich das Köpfchen aufwerfend, "und es nützt dir auch
gar nicht, deine Furchtsamkeit durch solche Gründe zu bemänteln. Wenn
du nicht mit willst, so laufe ich allein!" Und damit setzte sie sich
langsam in Bewegung. - "Helene!" rief ich. - Sie wandte sich um und
sah mich spöttisch an. "Willst du mitkommen? Ich ziehe dich heraus,
wenn du ins Wasser fällst."
"Du kränkst mich mit Absicht, Helene," sagte ich ruhig,
"und das ist nicht schön von dir. Ich gebe nach, aber nur unter einer
Bedingung, die du mir nicht verweigern wirst. Ich bleibe stets zehn Schritte
vor dir, damit ich dich in genügender Sicherheit weiß."
Ihr Auge leuchtete plötzlich auf, jedoch antwortete sie nicht, sondern
neigte nur bejahend das Haupt, und wir setzten uns in der verabredeten Weise in
Bewegung.
Es war nun doch eine Verstimmung zwischen uns, und niemand wollte anfangen zu
reden.
Wir waren den Enten schon ziemlich nahe gekommen und hörten nun deutlich
ihr wirres Geschnatter und das Schreien der Möwen. Nicht weit von uns
bemerkte ich den sogenannten "großen Stein", einen
mächtigen Granitblock, der aus dem Wasser hervorragt und den Kahnschiffern
als Wahrzeichen gilt, denn die Gegend um ihn herum ist voller Untiefen. Indem
wir darauf zuhielten, trafen wir auf die erste offene, von den Enten bereits
verlassene
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