|
|
Unter
dem Tannenbaum.
Unter
dem Tannenbaum
Weihnachtsgeschichte
von Theodor Storm - Seite 5
|
|
|
[
zurück zum
Anfang der Weihnachtsgeschichte ]
Der Baum war voll, die Zweige bogen sich, die alte Margreth stöhnte, sie
könne die Leuchter nicht mehr halten, sie habe gar keine Arme mehr an
ihrem Leibe. - Aber es gab wieder neue Arbeit. "Anzünden!"
kommandierte der Amtsrichter; und die kleinen und großen Weihnachtskinder
standen mit heißen Gesichtern, kletterten auf Schemel und Stühle und
ließen nicht ab, bis alle Kerzen angezündet waren. - Der Baum
brannte, das Zimmer war von Duft und Glanz erfüllt, es war nun wirklich
Weihnachten geworden. Ein wenig müde von der ungewohnten Anstrengung
saß der Amtsrichter auf dem Sofa, nachsinnend in den
gegenüberhängenden großen Wandspiegel blickend, der das Bild
des brennenden Baumes zurückstrahlte. - Frau Ellen, die ganz heimlich ein
wenig aufzuräumen begann, wollte eben die geleerte Kiste an die Seite
setzen, als sie wie in Gedanken noch einmal mit der Hand durch die
Papierspäne streifte. Sie stutzte. "Unerschöpflich!" sagte
sie lächelnd. - Es war ein Star von Schokolade, den sie hervorgeholt
hatte. "Und, Paul," fuhr sie fort, "er spricht!"
Sie hatte sich zu ihm auf die Sofalehne gesetzt, und beide lasen nun
gemeinschaftlich den beschriebenen Zettel, den der Vogel in seinem Schnabel
trug: "Einen Wald- und Weihnachtsgruß von einer dankbaren
Freundin!" - "Also von ihr!" sagte der Amtsrichter, "ihr
Herz hat ein gutes Gedächtnis. Knecht Ruprecht musste einen tüchtigen
Weg zurücklegen; denn das Gut liegt fünf ganze Meilen von hier."
Frau Ellen legte den Arm um ihres Mannes Nacken. "Nicht wahr, Paul, wir
wollen auch nicht undankbar gegen die Fremde sein?" - "O, ich bin
nicht undankbar, - aber - " - "Was denn aber, Paul?" - "Was
mögen drüben jetzt die Alten machen!" Sie antwortete nicht
darauf; sie gab ihm schweigend ihre Hand. "Wo ist Harro?" fragte er
nach einer Weile. - Harro war eben wieder ins Zimmer getreten; aus einer
Schachtel, die er mit sich brachte, nahm er eine kleine verblichene Figur und
befestigte sie sorgfältig an einen Zweig des Tannenbaums. Die Eltern
hatten es wohl erkannt; es war ein Stück von dem Zuckerzeug des letzten
heimatlichen Weihnachtsbaums; ein Dragoner auf schwarzem Pferde in langem,
graublauem Mantel. Der Knabe stand davor und betrachtete es unbeweglich; seine
großen blauen Augen unter der breiten Stirn wurden immer finsterer.
"Vater," sagte er endlich, und seine Stimme zitterte, "es war
doch schade um unser schönes Heer! - Wenn sie es nur nicht aufgelöst
hätten - ich glaube, dann wären wir wohl noch zu Hause!"
Eine lautlose Stille folgte, als der Knabe das gesprochen. Dann rief der Vater
seinen Sohn und zog ihn dicht an sich heran. "Du kennst doch das alte Haus
deiner Großeltern," sagte er, "du bist vielleicht das letzte
Kind von den Unseren, das noch auf dem großen übereinander
getürmten Bodenräumen gespielt hat; denn die Stunde ist nicht mehr
fern, dass es in fremde Hand kommen wird. - Einer deiner Urahnen hat es einst
für seinen Sohn gebaut. Der junge Mann fand es fertig und ausgestattet
vor, als er nach mehrjähriger Abwesenheit in den Handelstädten
Frankreichs nach seiner Heimat zurückkehrte. Bei seinem Tode hat er es
seinen Nachkommen hinterlassen, und sie haben darin gewohnt als Kaufherren und
Senatoren, oder, nachdem sie sich dem Studium der Rechte zugewandt hatten, als
Bürgermeister oder Syndici ihrer Vaterstadt. Es waren angesehene und
wohldenkende Männer, die im Lauf der Zeit ihre Kraft und ihr Vermögen
auf mannigfache Weise ihren Mitbürgern zugute kommen ließen. So
waren sie wurzelfest geworden in der Heimat. Noch in meiner Knabenzeit gab es
unter den tüchtigeren Handwerkern fast keine Familie, wo nicht von den
Voreltern oder Eltern eines in den Diensten der Unserigen gestanden
hätten; sei es auf den Schiffen oder in den Fabriken oder auch im Hause
selbst. - Es waren Verhältnisse des gegenseitigen Vertrauens; jeder
rühmte sich des andern und suchte sich des andern wert zu zeigen; wie ein
Erbe ließen es die Eltern ihren Kindern; sie kannten sich alle, über
Geburt und Tod hinaus, denn sie kannten Art und Geschlecht der Jungen, die
geboren wurden, und der Alten, die vor ihnen da gewesen waren." - Der
Amtsrichter schwieg einen Augenblick, während der Knabe unbeweglich zu ihm
empor sah. "Aber nicht allein in die Höhe," fuhr er fort,
"auch in die Tiefe haben deine Voreltern gebaut; zu dem steinernen Hause
in der Stadt gehörte die Gruft draußen auf dem Kirchhof; denn die
Toten sollten noch beisammen sein. - Und seltsam, da ich des inne ward,
|
|
|