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Unter
dem Tannenbaum.
Unter
dem Tannenbaum
Weihnachtsgeschichte
von Theodor Storm (1817 bis 1888)
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Der
Weihnachtsabend begann zu dämmern. - Der Amtsrichter war mit seinem Sohne
auf der Rückkehr von einem Spaziergange; Frau Ellen hatte sie auf ein
Stündchen fortgeschickt. Vor ihnen im Grunde lag die kleine Stadt; sie
sahen deutlich, wie aus allen Schornsteinen der Rauch emporstieg; denn dahinter
am Horizont stand feuerfarben das Abendrot. - Sie sprachen von den
Großeltern drüben in der alten Heimat; dann von den letzten
Weihnachten, die sie dort erlebt hatten. "Und am Vorabend," sagte der
Vater, "als Knecht Ruprecht zu uns kam mit dem großen Bart und dem
Quersack und der Rute in der Hand!" - "Ich wusste wohl, dass es Onkel
Johannes war," erwiderte der Knabe, "der hatte immer so etwas
vor!" "Weißt du denn auch noch die Worte die er sprach?" -
Harro sah den Vater an und schüttelte den Kopf.
"Warte nur," sagte der Amtsrichter, "die Verse liegen zu Haus in
meinem Pult; vielleicht bekomme ich`s noch beisammen!" Und nach einer
Weile fuhr er fort: "Entsinne dich nur, wie erst die drei Rutenhiebe von
draußen auf die Tür fielen und wie dann die raue borstige Gestalt
mit der großen Hakennase in die Stube trat! Dann hub er langsam und mit
tiefer Stimme an:
Von drauß vom Walde komm ich her,
ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr.
Allüberall auf den Tannenspitzen
sah ich goldene Lichtlein sitzen.
Und droben aus dem Himmelstor
sah mit großen Augen das Christkind hervor.
Und wie ich so strolcht` durch den dichten Tann,
da rief`s mich mit heller Stimme an:
"Knecht Ruprecht," rief es, "alter Gesell,
hebe die Beine und spute dich schnell!
Die Kerzen fangen zu brennen an,
das Himmelstor ist aufgetan,
Alt und Jung sollen nun
von der Jagd des Lebens einmal ruhn;
meine Reise fast zu Ende ist;
ich soll nur noch in diese Stadt,
wo`s eitel brave Kinder hat." -
Ich sprach: "Das Säcklein, das ist hier:
denn Apfel, Nuss und Mandelkern
essen fromme Kinder gern!" -
"Hast denn die Rute auch bei dir?"
Ich sprach: "Die Rute, die ist hier!
Doch für die Kinder nur, die schlechten,"
die trifft sie auf den Teil, den rechten!"
Christkindlein sprach: "So ist es recht,
so geh mit Gott, mein treuer Knecht!"
Von drauß vom Walde komm ich her,
ich muss euch sagen, es weihnachtet sehr!
Nun sprecht, wie ich`s hierinnen find?
Sind`s gute Kind, sind`s böse Kind?
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