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Rotkehlchen
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel - Seite 5
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was wiederum eine verfängliche Sache war. Dann sträubte er die
Nackenfedern und bat: "Köpfchen krauen!" dann sang er: "Ich
bin der kleine Postillon," und blies überaus schön ein
Postsignal, dann weinte er wie ein kleines Kind, hustete wie ein alter
Zittergreis und entwickelte alle seine sonstigen Talente - mit einem Wort, er
war entzückend. Herr Dusedann lebte ganz auf und verlor seine
Schüchternheit, ihm gelangen zu seiner eigenen Verwunderung die
schönsten zusammenhängenden Sätze und beim Abschied sprach er in
wohlgesetzten Worten die Bitte aus, seinen Besuch wiederholen zu dürfen,
um diesen außerordentlich gelehrten Papagei noch einmal bewundern zu
können. Dies ward ihm in Gnaden gewährt.
Herr Dusedann, was ist mit Ihnen vorgegangen? Weshalb schauen sie zuweilen so
nachdenklich in die Wolken und so tiefsinnig in den Himmel, als wollten Sie die
Geheimnisse des Weltalls ergründen? Weshalb, im Gegensatz dazu, sind Sie
dann wiederum so lustig und trillern allerlei Liederchen und hüpfen sogar
in zierlichen Bocksprüngen, obgleich Sie doch sonst so gesetzt und
ebenmäßig einhergingen? Woher kommt Ihr plötzlich intensives
Interesse für Sylvia rubecula, Lath., auf deutsch Rotkehlchen genannt, da
Sie doch sonst für diesen Sänger keine übermäßige
Vorliebe verrieten? Was soll man dazu sagen, dass Sie alle die anderen
zierlichen Tierchen in Ihrer Vogelstube kaum eines Blickes würdigen und
nur diesem einen Rotkehlchen mit fast verliebten Blicken nachfolgen? Sind denn
die Sonnenvögel weniger anmutig, die Sperlingspapageien nicht so drollig
und die vielen kleinen afrikanischen Finken nicht ebenso niedlich als sonst?
Was hat ihnen das Blaukehlchen getan, dass Sie es gar nicht mehr beachten, wenn
es im Sonnenschein auf dem Bauche im Sande liegt und sein seltsam liebliches
Liedchen ableiert? Was soll es bedeuten, dass Sie alle Tage ihre
Spaziergänge in jene armselige Vorstadt richten und dann auf die Chaussee
hinauslaufen, wo es nichts zu sehen gibt als Pappeln und winterlich öde
Sandfelder? Wenn Sie dann an einem gewissen Hause vorbeikommen, weshalb
schleichen Sie denn wie ein Verbrecher daher und wagen kaum hinzusehen? Wissen
Sie wohl noch, was neulich passiert ist an jenem sonnigklaren
Dezemberfrosttage, als die Welt so frisch und jungfräulich im ersten
Dauerschnee dalag? Dieser freudige kalte Tag musste wohl Ihren Mut
befördert haben, denn Sie wagten es, mit großer Kühnheit nach
dem Fenster des bewussten Hauses zu blicken, aber als Sie dort ein junges
schlankes Mädchen sich freundlich verneigte und auch, wohl im Widerschein
Ihres Antlitzes, ein wenig anglühte. Sie liefen dann wieder auf die
Chaussee hinaus und geruhten, sich ein wenig närrisch zu benehmen,
absonderlich wieder erklärlich zu hüpfen und allerlei Poesieverse in
den Wintertag hinein zu deklamieren. Dero Gedanken waren unbedingt an einem
anderen Orte, denn Sie bemerkten weder den großen grauen Würger,
Lanius excubitor L., der im Sonnenschein auf dem Pappelwipfel saß, noch
die Eisvögel, Alcedo ispida L., die an dem noch nicht zugefrorenen Bach
mit Fischfang sich erlustierend, in der Sonne wie Edelsteine glänzten.
Obgleich doch solcherlei Schauspiel ansonsten von ihnen mit besonderem
Wohlgefallen betrachtet wurde, Herr Dusedann! Sie werden sich erinnern, dass
Sie späterhin auf der Chaussee noch andere Merkwürdigkeiten trieben,
absonderlich, dass Sie plötzlich in großen Schreck gerieten, indem
Sie sich bewusst wurden, ganz laut einen Namen in den schneeglänzenden
Wintertag hinausgerufen zu haben, und zwar lautete dieser: "Wendula! -
Wendula Roland!" - Was soll man davon denken, Herr Dusedann? Sie sahen
sich zwar sofort erschrocken um und beruhigten sich erst, als Sie bemerkten,
dass auf der ganzen weiten Chaussee kein Mensch zu sehen war. Sie suchten sich
einzureden, nur die Liebe zum Wohlklange habe Sie veranlasst, diesen
melodischen Namen auszurufen, aber ob Sie sich dieses geglaubt haben, ist noch
sehr die Frage.
Ja, es war eine merkwürdige Veränderung mit Herrn Dusedann
vorgegangen. Acht Tage hielt er es aus, ohne den Anblick des wunderbaren
Papageis zu leben, dann trieb es ihn mit magnetischer Gewalt, sich wieder nach
ihm umzusehen. Das nächste Mal konnte er diese Sehnsucht nur noch drei
Tage lang unterdrücken und dann stellte er sich ein um den anderen Tag
ein, so dass er binnen kurzem im Hause Roland eine bekannte Erscheinung war.
Auch
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