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Rotkehlchen
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel - Seite 6
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eine beliebte. Der Alte freute sich, jemand zu haben, mit dem er plaudern
konnte, die beiden jüngeren Töchter Susanne und Regina fanden einen
harmlosen Spielgefährten in ihm, dessen Taschen allerlei
Süßigkeiten bargen, und Wendula - ja wer wollte das ergründen,
was in der Tiefe ihre dunklen Augen verborgen lag. Aber das muss gesagt werden,
dass sie heller aufleuchteten, wenn die Türglocke erklang und der bekannte
Schritt auf dem Gange hörbar ward. Als bemerkenswert muss auch verzeichnet
werden, dass Herr Dusedann, der bekanntlich doch nur kam, um den Papagei zu
sehen, zuweilen nach längerem Aufenthalt wieder fort ging, ohne ihm mehr
als einen halben Blick geschenkt zu haben, eine Inkonsequenz, die aus den
sonstigen Charaktereigenschaften dieses jungen Mannes nicht genügend
erklärt werden kann.
Da die Weihnachtszeit herannahte, so waren auch in diesem Hause vielerlei
Geheimnisse im Gange, und Herr Dusedann genoss das ehrenvolle Vertrauen, von
allen drei Mädchen in ihre verschiedenen Unternehmungen eingeweiht zu
werden, so dass ihm als einem Weihnachtsbeichtvater das ganze Gewebe
gegenseitiger Überraschungen klar vor Augen lag. Diese Dinge rührten
ihn und gefielen ihm gar wohl, zumal er seine Eltern früh verloren hatte
und einsam ohne Geschwister aufgewachsen war. Dies alles berührte ihn als
etwas Neues und seltsam Liebliches und zum erstenmal in seinem Leben ward ihm
klar, dass er in seiner Kindheit trotz allen Überflusses doch vieles
entbehrt habe, das kein Reichtum schaffen kann.
Es kam einmal zur Sprache, dass er dieses Fest noch niemals in Gegenwart von
Kindern gefeiert habe, immer nur, so lange er denken konnte, mit der alten
Tante Salome am Abend des ersten Weihnachtstages. Diese zierte dann einen
Tannenbaum auf mit allerlei dauerhaften Schmuckdingen, die sie sorgfältig
in einer Schieblade aufhob, und deren manche noch aus seiner Kinderzeit
stammten. Den Grundstock ihrer Bescherung bildeten stets sechs Paar
selbstgestrickte Strümpfe und darum gruppierten sich einige wertlose
Kleinigkeiten, "denn was soll ich dir schenken, mein Junge2, sagte sie,
"du hast ja alles!" Dazu hatte sie aber stets nach alten
geheimnisvollen Familienrezepten eine Unzahl der verschiedenen Kuchen gebacken,
die keines von beiden aß und die später so allmählich
fortgeschenkt wurden. Herrn Dusedanns Gegengeschenk bestand jedoch, seit er
mündig war, stets aus einem Schächtelchen mit Goldstücken, die
Tante Salome in ihre Sparbüchse tat. Nach der Bescherung gab es Karpfen
zum Abendessen, und Herr Dusedann braute dazu aus einer Flasche Burgunder,
einer Flasche Portwein und ein wenig echtem Jamaika-Rum einen Punsch, worin
sich Tante Salome regelmäßig einen kleinen Spitz trank. Danach wurde
feierlich zu Bette gegangen und die Sache war erledigt.
Wie es kam, ist nicht mehr mit Genauigkeit festzustellen, allein, als man
über diese Dinge redete und Herr Dusedann zwischendurch den Wunsch
äußerte, dies Fest einmal in Gemeinschaft mit Kindern zu feiern, da
war er, ehe man sich`s versah, eingeladen. Dies ging insofern ganz gut, als die
Familie Roland das Fest am heiligen Abend feierte, und Herr Dusedann somit
seine eigene geheiligten Familientraditionen nicht zu durchbrechen nötig
hatte, eine Tempelschändung, die zu verüben er auch wohl nicht gewagt
haben würde. Da nun seine Kühnheit in der letzten Zeit schon
bedeutend zugenommen hatte, so gelang es ihm, in wohlgesetzter Rede den Wunsch
auszusprechen, dass ihm erlaubt sein möchte, sich an diesem Abend ganz als
ein Mitglied der Familie zu betrachten, und man ihm nicht verübeln
möge, wenn er sich in jeder Hinsicht an der Bescherung beteilige. Dass die
Familie Roland dagegen nichts einzuwenden hatte, stimmte ihn so fröhlich,
dass er auf dem Rückwege nach seiner Wohnung eine große moralische
Kraft anwenden musste, in dem frisch gefallenen Schnee der Straße nicht
einige mal vor Vergnügen Kobold zu schießen. Das ehrwürdige
Blut der Dusedanns aber, das in seinen Adern floss, war stark genug, diese
hasenfüßige Tat zu verhindern.
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