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Rotkehlchen

Weihnachtsgeschichte von Heinrich Seidel ( 1842 bis 1906 )

Herr Dusedann war zweiunddreißig Jahre alt und im besten Begriff, ein Junggeselle zu werden. Er besaß ein großen Vermögen, und obgleich er aus diesem Grunde keinen bestimmten Beruf erwählt hatte, so waren seine Tage dennoch dermaßen mit Tätigkeiten und Arbeit angefüllt, dass er zu Heiratsgedanken gar keine Zeit fand. Daran war aber seine große Sammelleidenschaft schuld und ein ihm innewohnender Drang, alles ins Gründliche zu treiben. Verwandte besaß er keine mehr, außer seiner etwas altmodischen Tante Salome, die stets eine schneeweiße Haube und hellblonde Seitenlöckchen trug und von einer ewigen Unruhe erfüllt war. Trotz ihres Alters war sie sehr flink auf den Beinen und klimperte den ganzen Tag mit ihrem Schlüsselbund treppauf treppab vom Boden in den Keller, von der Küche in die Kammer. Dann saß sie plötzlich wieder in ihrem sauberen Zimmer und nähte, aber ehe man es sich versah, hatte sie Hut und Mantel angetan und war fort in die Stadt, hetzte die Verkäufer in den Läden, dass sie nur so flogen, und war mit einer merkwürdigen Geschwindigkeit aus den entferntesten Gegenden wieder zurück. Sie konnte laufen wie die Jüngste, und betrieb dies auch in solchen Momenten, wo im Drange der Geschäfte ihr solches notwendig erschien. Es war dann seltsam zu sehen, wie die alte Dame den Korridor entlang huschte, dass die Löckchen flogen, oder wenn sie mit flinken Füßen die Treppe hinab schnurrte.
Sie achtete alle Neigungen und Liebhabereien ihres Neffen wie Heiligtümer, sie kannte alle seine Lieblingsgerichte und kochte sie in anmutiger Abwechslung, sie schob unter alle seine Gewohnheiten und Wünsche sanfte Kissen der Zuvorkommenheit, kurz, Herr Dusedann hätte sich in dieser Hinsicht wie im Himmel fühlen müssen, wenn er nicht von Jugend auf daran gewöhnt gewesen wäre, und deshalb solchen Zustand für selbstverständlich hielt. Da nun alle Unzuträglichkeiten des Junggesellenstandes für ihn wegfielen, seine mannigfaltigen Liebhabereien ihn mehr als genügend beschäftigten und außerdem eine angeborene Schüchternheit ihn den Verkehr mit dem weiblichen Geschlechte meiden ließ, so ist es nicht zu verwundern, dass Herr Dusedann sich ganz wohl fühlte und nicht im mindesten darauf verfiel, eine Veränderung dieses Zustandes anzustreben.
Seine Lust, alle möglichen Dinge zu betreiben und zu sammeln, hatte sich erst herausgebildet, als er von der Universität zurückgekehrt war und nun gar nicht wusste, was er mit der vielen Zeit in seinem großen Hause anfangen sollte. Zuerst verfiel er auf allerlei schrullenhafte Dinge. So legte er unter anderem eine Sammlung von Porzellanhunden an und brachte es in kurzem auf hundertdreiundneunzig Stück verschiedener Exemplare. Sie wurden auf einer pyramidenförmigen Etagere systematisch geordnet und boten einen Anblick dar, der ebenso komisch als seltsam war. Hierdurch ward er auf die Tatsache hingeführt, dass es in Porzellan noch manche andere Dinge gibt, die nicht zu verachten sind, dass Majolikageräte besonders geeignet erscheinen, die Begier eines Sammlers zu entzünden, und alte venezianische Glaswaren eine geradezu dämonische Anziehung auszuüben im Stande sind. So füllte sich allmählich sein Haus mit einer Anzahl von sonderbaren Gerätschaften, Tellern, Krügen, Tassen und Gläsern, aus denen einziger Reiz oft nur darin bestand, dass ein anderer sie nicht hatte.
Jedoch diese Dinge mussten untergebracht werden und die Schränke, in denen dieses geschah, die Möbel, auf denen sie standen, mussten sich im Einklang mit diesen Zeugen einer untergegangenen Kultur befinden. So befiel ihn zu alledem ein Fanatismus für alte Möbel, gebrauchte Kommoden, braun und gelb eingelegt und mit Messingbeschlägen verziert, riesige altersbraune Wandschränke mit ungeheuren Ausladungen und Gesimsen und einer Geräumigkeit, dass man darin spazieren gehen konnte, seltsame Schreibsekretäre mit bunten eingelegten Blumen verziert und ausgestattet mit einem komplizierten System von Schiebladen, Schränken und Geheimfächern und allerlei spaßhaften Überraschungen. Zu alledem gesellten sich allmählich große Mappen mit Kupferstichen angefüllt, seltene Bücher, Münzen, Holzschnitzereien, Bernstein - und Perlmutterarbeiten, Kuriositäten aller Art, seltene Erzstufen und Kristalldrusen, japanische und chinesische Lack -, Email - und
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Weihnachtsgeschichte: Rotkehlchen