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Lang,
Lang ist`s her.
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel - Seite 2
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Anfang der Weihnachtsgeschichte ]
dort in Ewigkeit zu wandeln verdammt waren, sämtliche Gassenhauer der
ganzen Welt zu Gehör zu bringen. Wo ist hier Übergang und
Vermittlung, wie willst du diese Dissonanz auflösen?"
"Jede Dissonanz lässt sich auflösen, teurer Freund," sagte
Leonard, "und jedes Ding hat seine nützliche und angenehme Seite. Nur
bleibt sie oft dem beschränkten Sinne verborgen. Ich habe mir früher
auch nie träumen lassen, dass die himmlische Vorsehung sich eines
Leierkastens zur Erreichung ihrer Pläne wirkungsvoll bedienen
könnte."
Wir waren im zoologischen Garten angelangt und hatten den seitlichen Gang
zwischen den Büffel -und Hirschgehegen eingeschlagen. Es war ein Wochentag
und der Garten nicht sehr gefüllt, so dass wir auf einer Bank am Wege
ziemlich ungestört waren. Dort im Angesicht einiger friedlicher
Büffel, die, bis an den Hals im schlammigen Wasser stehend, behaglich
schnauften, erzählte mir Leonard seine Geschichte. Ich will sie in meiner
Weise wieder erzählen.
Es ist eine Liebesgeschichte so gewöhnlicher Art, dass sie jeder, auch der
ausgehungertste Novellist, wenn er sie so wie ein leeres, verbrauchtes
Portemonnaie am Wege gefunden, einfach mit dem Fuß beiseite
gestoßen hätte. Der gütige Leser, der geübt ist in solchen
Dingen, und bei seinem täglichen Leihbibliothekenfutter bereits vor vielen
Jahren das Jubiläum des tausendsten Bandes gefeiert hat, wird jetzt schon
den ganzen Verlauf an den Fingern hersagen können, und wenn ich die
Geschichte trotzdem erzähle, so geschieht es in dem Vertrauen auf die
ewige Langmut und Güte der Vorsehung und im Hinblick auf jene jungen und
gläubigen Opfer, denen noch nicht die langjährige Erfahrung aus den
tausend fettigen Leihbibliotheksbänden zu Gebote steht.
Es ist in Dunkel gehüllt, bei welcher Gelegenheit meinem Freunde Leonard
zuerst auffiel, dass Agnes Bolten ein merkwürdig angenehmes Mädchen
sei. Diese Anschauung kam nicht plötzlich, sondern entwickelte sich so
regelrecht, aus Keim und Knospe, wie man er nur wünschen kann. Aber eines
Tages empfand er doch mit Überraschung, dass diese Angelegenheit zu einer
merkwürdigen Klarheit gediehen sei, und dass er eine Neigung in sich
verspüre, jedem anderen jungen Manne, der ähnliche Gefühle gegen
Fräulein Agnes zu hegen wage, den Hals zu brechen. Obgleich er aus den
hundert kleinen Anzeichen, mit denen eine heimliche liebe hervorblitzt, wie ein
Bach, der unter Kraut und Blumen verborgen einherrieselt, zu schließen
wagte, dass seine Neigung nicht unerwidert sei, so dauerte es doch einige Zeit,
bis seine überlegene und maßvolle Natur, die zwar schwer von
Entschlüssen, aber hartnäckig in deren Ausführung war, sich zu
einem entscheidenden Schritt entschloss. Dieser Zeitpunkt trat jedoch endlich
ein, und nachdem er sämtlichen Freunden und Verwandten die
gründlichste Versicherung gegeben hatte, sich niemals zu verheiraten und
als guter alter Onkel seine Tage zu beschließen, benützte er einen
der kältesten Winterabende, an dem ihm das Glück zu teil wurde,
Fräulein Agnes Bolten aus einer Gesellschaft nach Hause zu führen,
sie mit der Glut seines Herzens bekannt zu machen.
Wo zwei solche Flammen lange unterdrückt und heimlich genährt
ineinander lohen, durchwärmen sie auch die bittere Kälte einer
Winternacht, und das alte, schneebedeckte Gartentor der Villa Bolten wurde
heute Abend Zeuge von Ereignissen, für die man sonst die blühende
Fliederlaube oder die schattige Sommerlinde allgemein als die passendste
Örtlichkeit anzusehen gewohnt ist. Küsse, Seufzer und Tränen,
Tränen, die die bitterliche Dezemberkälte sofort in Eis verwandelte,
so dass neue Küsse nötig waren, sie wieder aufzutauen. Sie galten
einen würdigen alten Herrn, der, während diese Tatsachen an dem
festgefügten Bau seiner schrullenhaften Grundsätze nagten, behaglich
in seinem warmen Bette schlief, und zwar als gesunder Verstandesmensch
gründlich und unbelästigt von dem unreellen Scheinwesen irgend eines
Traumes.
"Wie soll es nun werden?" sagte Agnes und sah angstvoll aus der
weißen Pelzkapuze zu Leonard auf. "Papa ist so fürchterlich,
wenn etwas gegen seinen Willen geht. Gegen mich ist
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