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Lang,
Lang ist`s her.
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel - Seite 4
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Anfang der Weihnachtsgeschichte ]
einst zur Erinnerung aufschrieb:
Der Auserwählte.
Wem hold sind die Götter,
Dem blüht der Vollendung
Herrliche Blume!
Es mühen sich manche
Und streben vergebens,
Und nimmer erreichbar
In dämmernder Ferne
Sehen sie schimmern
Das goldene ziel. -
Doch er kommt geschritten,
Der Auserwählte,
Mit freiem Antlitz
Und leuchtender Stirne -
Ihm schließen die Knospen
Duftend sich auf,
Ihm neiget das Schönste
Sich lächelnd entgegen,
Und siegreich und heiter
Schreitet er aufwärts
Die leuchtende Bahn! -
Wem hold sind die Götter,
Dem blüht der Vollendung
Herrliche Blume! -
Der Liebling der Götter hatte also sehr wenig Ahnung von dem Kampfe, dem
er entgegenging, und doch saß ihm natürlich das beängstigende
Etwas im Blut, das den wohltrainierten Examinandus schließlich selbst um
das bringt, was er zu Hause noch so schön gewusst hat. Nachdem er die
übliche Verschniepelung und Verschwärzung mit sich vorgenommen hatte,
ohne die unsere im Punkte der Bekleidung traurig verarmte Zeit sich einen
feierlichen Akt nicht vorstellen kann, machte er sich um die übliche
Besuchszeit kühn auf den Weg.
Wie zwei feierliche Wächter mit Allongeperücken standen die beiden
von wolligem Schnee bedeckten Gartentorpfeiler der Boltenschen Villa da.
Leonard warf einen Blick auf einen Fleck neben dem einen Pfeiler, wo der Schnee
von verschiedenen Fußpaaren, einem zarten und einem kräftigen,
niedergetreten war. Er musste lächeln. Die war nun ein historischer Ort
für ihn. Er öffnete das Tor und ging durch den sauber gefegten Steig
auf die Villa zu. Die Sonne schien und blitzte in den schneebepolsterten
Gebüschen, vor einem Fenster lärmten die Spatzen um hingestreutes
Futter. Hinter diesem Fenster ward ein blasses, liebes, verweintes
Köpfchen sichtbar, nickte ihm zu und verschwand. Agnes machte ihm selber
auf. "Ich habe ihn schon vorbereitet," flüsterte sie, da ein
Diener in der Nähe stand, "er war schrecklich - Jakob, melde diesen
Herrn, Herr Musikdirektor Leonard Brunn, - er wollte dich gar nicht sehen, aber
ich bestand darauf, er müsse dich empfangen, und schließlich gab er
nach. Ich bin so voll Angst."
Leonard drückte sie an seine Brust und küsste sie auf die Stirn.
"Ich habe Mut," sagte er, "für uns beide".
Der Diener ließ sich hören und sie nahmen wieder eine Stellung
achtungsvoller Höflichkeit gegeneinander ein. Die Hand aufs Herz
gedrückt, sah Agnes dem Geliebten nach, als er mit festem Schritt die
Treppe zu dem Zimmer ihres Vaters emporstieg.
"Sie sind Herr Musikdirektor Leonard Brunn und kommen zu mir, um die Hand
meiner Tochter von mir zu begehren," sagte Herr Andreas Bolten,
"haben Sie die Güte, Platz zu nehmen und mir mitzuteilen, was Sie
sonst noch hinzuzufügen haben." Damit deutete er auf einen
gepolsterten Lehnstuhl von braunem Leder und nahm selber in einem gleichen
Sessel
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