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Lang,
Lang ist`s her.
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel - Seite 8
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Anfang der Weihnachtsgeschichte ]
Tochter das zu sühnen, was an der Mutter verbrochen war, und ihr ein
Gemahl zu geben, nach der freien Wahl des Herzens.
Dies alles rief das Lied zurück, das einst das Lieblingslied seiner Frau
war. Sie hatte es oft gesungen im Schmerz ihres einsamen, verkauften Lebens,
erst in dem letzten, glücklichen Jahre war es verstummt.
Herr Bolten saß lange in seinem Lehnsessel da, die Augen auf das Bild
gerichtet und doch wie in sich versunken. Die Dämmerung brauch herein und
hüllte es in Schatten, er schien es nicht zu bemerken, denn er sag mit den
Augen seines Geistes. Dann stand er auf und ging mit gesenktem Haupt einige
Male im Zimmer auf und ab. Er trat ans Fenster und schaute eine Weile in das
kalte Abendrot, das über den dunklen, entlaubten Wipfeln des Tiergartens
stand. Der Diener kam mit Licht, setzte es schweigend auf den Schreibtisch und
entfernte sich wieder. Herr Bolten sah noch einmal nach der Türe, dann
nach dem Bilde, setzte sich an den Tisch und schrieb. Als er fertig war,
klingelte er: "Herr Musikdirektor Leonard Brunn sofort zu bestellen,"
sagte er, indem er dem Diener den Brief übergab.
Diese denkwürdigen Vorgänge ereigneten sich am 23. Dezember. Der
Brief, den Leonard noch an dem Abend desselben Tages erhielt, hatten folgenden
Inhalt:
"Sehr geehrter Herr Musikdirektor!
Wenn Sie die Güte haben wollen, sich morgen, am 24. Dezember, abends 6
Uhr, zu mir zu bemühen, so würden Sie mich sehr verbinden, da ich
Ihnen noch einige Mitteilungen zu machen habe.
Hochachtungsvoll
Ihr
Andreas Bolten."
Vor jeder Oase des Glücks streckt sich eine Sahara der Entbehrung und
Erwartungen einher, geschmückt mit Spiegelbildern der Hoffnung und
Sehnsucht. Dornenvolle Kräuter waren es, durch die Leonards Gedanken in
diesen vierundzwanzig Stunden ihren Weg nahmen.
Herr Bolten war heiter; er hatte Mühe, beim Abendessen seine große
Fröhlichkeit vor seiner Tochter zu verbergen. Sie wagte nicht zu fragen
und heimlich hingen ihre Augen an den strengen Zügen ihres Vaters.
Zuweilen war es ihr, als lächle ein kleiner, freundlicher Kobold, der
seinen bescheidenen Sitz in dem väterlichen Mundwinkel hatte, ihr
aufmunternd zu.
Leonard fand am andern Tage sich pünktlich ein. Herr Bolten stand mitten
in der Stube, hatte die Hände auf dem Rücken zusammengelegt und
betrachtete wohlwollend einen langen, weißen Korb, wie man ihn zum
Transport von kostbaren und empfindlichen Frauenkleidern benützt.
Wie ein Blitz durchschoss Leonard ein Gedanke, als er diesen ungeheuren Korb
sah. Zu einer Komödie der schändlichen Verhöhnung hatte der Alte
ihn bestellt und hatte das schmachtvolle Symbol der Ablehnung in einer seinem
Hass entsprechenden Größe ausgewählt. Der Zorn stieg dem Armen
purpurrot in das Antlitz. "Herr Bolten, was bedeutet dieser Korb?"
rief er.
Den Alten belustigte diese Auffassung höchlichst, dies
Missverständnis war noch eine angenehme und humoristische Zugabe, auf die
er noch gar nicht einmal gerechnet hatte.
"Der Korb ist für Sie," sagte dieser boshafte alte Sünder.
Aber er kam dem Ausbruch zuvor, der sich bei Leonard ankündigte.
"Ereifern Sie sich nicht, mein Lieber, der Korb ist nicht für sie ein
symbolischer Korb, sondern ein Korb in seiner eigentlichen Bedeutung, ein
Futteral, eine Emballage. Wenn Sie mir den kleinen Dienst erweisen wollen,
gefälligst hineinzuspazieren, so werden Sie mit den Folgen dieser Handlung
sehr zufrieden sein." Damit hatte er den Deckel geöffnet und stand
mit einladender Handbewegung da.
"Wissen Sie, was ein Julklapp ist?" fragte er dann.
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