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Lang,
Lang ist`s her.
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel - Seite 5
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Anfang der Weihnachtsgeschichte ]
Platz. Es war ein hübscher Anblick, diese beiden verschiedenen und doch
wieder gleichartigen Männer einander gegenüber zu sehen. Vor allem
war ihnen gemeinsam, dass sie beide wirkliche Männer waren. Aber war in
der äußeren Erscheinung des ältern mehr das Viereck
ausgeprägt, so kamen bei dem jüngern die sanften Linien des Ovals zur
Geltung. In dem einen war mehr Charakter, in dem andern mehr Schönheit.
Der Kaufmann hatte das klare, feste, graue Auge, das die Außendinge mit
sicherem Blick umfasst und bewältigt, in den blauen Augen des
Künstlers war jene Klarheit, die auf eine sichere Beherrschung einer
geistigen Innenwelt schließen lässt.
Leonard war nicht überrascht durch das kurze und summarische Verfahren
seines Gegners, er hatte eher Schlimmeres erwarten. "Ich habe wenig
hinzuzufügen," sagte er; "da Sie von der Hauptsache bereits
unterrichtet sind, so kämen nur noch meine äußeren
Verhältnisse in Betracht. Die Ausübung meines Berufes sichert mir
eine nicht unbedeutende Einnahme, die, wie ich mit einiger Sicherheit annehmen
darf, eine fortwährende Steigerung erfahren wird, außerdem bin ich
im Besitz eines Vermögens, das an und für sich zur Gründung und
Unterhaltung eines Hausstandes ausreicht. Was meinen persönlichen
Charakter betrifft, so steht mir darüber ein Urteil nicht zu, jedoch liegt
mein Leben und öffentliches Wirken so klar da, dass es Ihnen nicht schwer
fallen kann, darüber Näheres zu erfahren."
"Soweit wäre demnach alles in der besten Ordnung," sagte Herr
Bolten; "wenn ich Ihnen nun dennoch die Hand meiner Tochter auf jeden Fall
verweigere, so werden Sie die Ursache hiervon sicher nicht einsehen und von mir
eine Darlegung meiner Gründe erwarten."
Leonard wurde etwas verwirrt durch die Schroffheit des alten Herrn. "Ich
fürchte, Sie werden mich nicht überzeugen," sagte er dann mit
einem Anflug von Humor.
"Darin haben Sie vermutlich recht," sagte Herr Bolten, "was
jedoch die Darlegung meiner Gründe betrifft, sehen Sie, ich könnte
Ihnen einfach sagen, es sei gegen mein Prinzip, meine Tochter einem Musiker zu
geben. Es wäre das Billigste. So ein Prinzip ist eine gute Streitart, sie
jemanden vor den Kopf zu schlagen, der uns mit Gründen in die Enge
getrieben hat. Mir fehlen die Gründe jedoch nicht, und ich will sie Ihnen
nicht vorenthalten. Lebenserfahrungen unangenehmer Art haben meine Beobachtung
geschärft und meine Blicke gerade auf Ihren Stand gerichtet, und ich bin
dabei zu Resultaten und Ansichten gekommen, die Ihnen vielleicht unangenehm und
ungerecht, mir aber als unabänderliche Wahrheit erscheinen. Die Musik ist
von allen Künsten die lustigste Kunst, sie spricht zu und in unbestimmten
Tönen und Wendungen, sie haftet am wenigsten an Dingen dieser Erde, ihr
Wesen ist Ahnung und Sehnsucht. In das Innerste einer Kunst einzudringen, die
sich in solchen subtilen Regionen bewegt, sie selber schöpferisch und mit
Genie auszuüben, erfordert eine Feinfühligkeit der Seele, die in
Dingern des wirklichen Lebens zur großen Gefahr werden kann. Aus diesen
Gründen erklärt sich das excentrische und oft haltlose Wesen der
meisten bedeutenden Musiker, und endlich verweigere ich Ihnen aus diesen
Grünen die Hand meiner Tochter, gerade weil Sie, wie ich wohl weiß,
hervorragend und bedeutend in Ihrem Fache sind."
Leonard hatte ungeduldig auf seinem Stuhle gerückt, als Herr Bolten seine
krausen und seltsamen Theorien entwickelte. "Wenn ich Sie recht
verstehe," fiel er jetzt ein, "so sagen Sie damit, jeder begabte
Komponist ist vermöge seiner seelischen Anlagen, die große
Reizbarkeit und Empfänglichkeit bedingen, ein unzuverlässiger
Charakter. Sie vergessen, dass andere Eigenschaften vorhanden sein können,
das Gleichgewicht wieder herzustellen. Sie würden mir vielleicht eine
Menge von Beispielen für Ihre Theorie aufzählen können und
würden sorgfältig verschweigen, was gegen sie spricht. Und wenn Sie
recht hätten, wer sagt Ihnen denn, dass ich nicht auf die Welt gesendet
bin als erste und einzige Ausnahme, nur um die Regel zu bestätigen?"
"Sie haben Humor," fügte Herr Bolten mit wohlwollender Strenge
ein.
"Ich kann Ihre Gründe nicht würdigen und annehmen," fuhr
Leonard fort, "ich protestiere selbstverständlich gegen die Regel,
aber selbst diese zugegeben, können Sie doch die Ausnahme nicht
wegleugnen. Und das vernichtet all Ihre Gründe, denn da mein ganzes
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