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Lang,
Lang ist`s her.
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel - Seite 9
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Anfang der Weihnachtsgeschichte ]
Leonard bejahte es unwillig.
"Nun, ich möchte Sie meiner Tochter als Julklapp werfen. Wollen Sie
nicht, dann ist es auch gut, Sie bekommen sie doch, aber ich denke, Sie werden
es mir nicht abschlagen. Eine Liebe ist der andern wert."
Was sollte Leonard machen? Liebe, Zorn, Hoffnungen und Befürchtungen
hatten ihn genugsam geschüttelt und mürbe gemacht, warum sollte er am
Ende nicht auch noch in einen Korb steigen?
Der Alte schloss den Deckel und klingelte Zwei riesenhafte Rollkutscher traten
ein, nahmen den Korb und trugen ihn davon.
Agnes saß in dem glänzenden Weihnachtszimmer unter dem brennenden
Tannenbaum mit traurigem Herzen. Herr Bolten trat ein, sie wischte eine
heimliche Träne fort und zwang sich, ihm mit frohem Angesicht entgegen zu
gehen und ihm zu danken, für so viele kostbare Geschenke. Da wurde
plötzlich die Tür aufgerissen, eine furchtbare Rollkutscherstimme
rief "Julklapp" und der bewusste Korb ward hereingeschoben. Agnes
kannte schon dieses Möbel. Ihr Vater pflegte ihr an jedem Weihnachten auf
dieselbe Weise ein kostbares Kleid zu schenken, allein sie fürchtete sich
immer ein wenig davor, denn das Talent, die Schönheiten eines weiblichen
Anzuges zu beurteilen, ging Vater Bolten ab, und es kamen bisweilen
unsägliche Dinge aus diesem Korb zum Vorschein.
Herr Bolten bemerkte den ängstlichen, zögernden Ausdruck in ihrem
Gesicht. "Nur Mut, Agnes," sagte dieser raffinierte alte Heuchler,
"diesmal hab' ich's getroffen, und wenn es dir doch nicht gefällt,
darfst du's nur umtauschen.!" Zögernd schlug Agnes den Deckel
zurück. In blaue Seide gehüllt lag das Unbekannte vor ihr. Sie hob
einen Zipfel auf. "Ein Tuchkleid!" rief sie, denn ein Stück von
Leonards Ärmel kam zum Vorschein. Ihre Neugierde ward wach, denn Weib
bleibt Weib, und ehe das Interesse für ein neues Kleid aufhört, muss
es arg kommen. Ein Schreck, ein Schrei, im Korb ward es lebendig und rappelte
sich empor und fiel ihr um den Hals, und Vater Bolten und die ganze Welt
versanken in einen Blauen Nebel des Glückes und waren eine Weile so gut
wie gar nicht vorhanden.
Dem Alten wurde es so sonderbar und so flimmerig vor den Augen, er ging an das
Fenster und starrte in die schwarze Nacht und schließlich musste er doch
mit dem Gesicht an der Gardine einherfahren, und als das nicht völlig
half, ging er leise hinaus, über den hell erleuchteten Gang in sein
Zimmer. Es war dunkel dort, nur das Licht der Straßenlaterne warf einen
sanften Schimmer auf die Wand, an welcher das Bild hing. Er zog den Vorhang
zurück, setzte sich in den Lehnstuhl und schaute auf das sanfte Antlitz,
das in ungewissem Scheine aus dem dunklen Hintergrunde hervortrat. In seinen
Zügen arbeitete es seltsam und seine Lippen zuckten:
"Bist du nun zufrieden?" sprach er zu dem Bilde, "hab' ich es
recht gemacht? Sie sollen ihren Willen haben, die Kinder, und ich will glauben,
dass es das Beste ist." - Dem fest gefügtem Mann rannen die
Tränen über das zuckende Gesicht. "Warum gingst du so
früh?" fuhr er fort, "wir kannten uns doch kaum. Und nun, da
dein liebster Wunsch erfüllt wird, bist du fern, ewig fern, in jenem
Lande, dahin wir alle kommen werden und das doch niemand kennt, und ich kann
dein zufriedenes Lächeln nicht sehen und den dankbaren Schein deiner
sanften Augen. Du blickst auf mich herab wie immer still und friedlich und
kannst mir kein Zeichen geben, dass du mir gut bist für das, was ich heute
tat!"
Der alte Mann hielt seine Augen fest auf das Bild geheftet und war es das
Flackern des Lichtes, oder war es Wirklichkeit, es schien einen Augenblick, als
ginge ein Lächeln wie ein freundlicher Schimmer über das stille
Antlitz. Lange noch saß er, die Augen auf das Bild gerichtet, die
Gedanken versenkt in jene Zeiten, die nicht wiederkehren: "Lang, lang
ist's her!"-
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