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Am
See und im Schnee
I.
Am See.
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel - Seite 3
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Kapitelanfang der Weihnachtsgeschichte ]
der städtischen Pension zurückgekehrt, wo es ihr als einem
Mädchen von gesundem Geist und Körper niemals besonders behagt hatte,
und der "wüste, unwissende Tagedieb" war mit seinem
Militärdienstjahr schon seit einiger Zeit zu Ende, da brach der
deutsch-französische Krieg aus. Der junge Fritz Dieterling ward
natürlich eingezogen und ging als Reserveoffizier mit gegen Frankreich. Er
war an der Schlacht bei Wörth und an dem gewaltigen Marsche auf Sedan und
dessen Einschließung beteiligt, wobei ihn das Glück so
begünstigte, dass er sowohl von Verwundung und Krankheit verschont blieb,
sich das eiserne Kreuz erwarb und trotz aller Strapazen des Kriegslebens
blühend und kräftig vor Paris anlangte. Gegen Ende der langwierigen
Einschließung und Belagerung dieser ungeheuren Festung erhielt er jedoch
bei einem der vielen ausfällen der französischen Besatzung einen
Schuss in den linken Arm, zeichnete sich aber bei dieser Gelegenheit durch Mut
und Umsicht so ungemein aus, dass ihm das Eiserne Kreuz erster Klasse
zugesprochen wurde. Seine Verwundung war jedoch so komplizierter Natur, dass
die Heilung einen sehr langwierigen Verlauf nahm und er allmählich von
Lazarett zu Lazarett zurückbefördert ward, bis man ihn zum Zwecke
seiner gänzlichen Genesung in die Heimat entließ.
Herrn Peter Maifeld passte die kriegerische Auszeichnung des jungen Dieterling
sehr wenig in sein System, insonderheit verdross es ihn, dass sich der Sohn
seines Feindes also hervorgetan hatte, dass man ihn des höchsten
Ehrenzeichens, das seinem Stande zugänglich war, für würdig
hielt. Zu Anfang murmelte er etwas von unverdientem Glück oder, wie er
sich auszudrücken liebte, "unverschämtem Torkel", aber
damit half er sich nicht über die Sache hinweg, denn im Grunde tat dieser
Vorfall seinem braven Patriotenherzen doch zu wohl. Durch diese
verhältnismäßig so seltene Auszeichnung fühlte sich die
ganze Gegend geehrt, und überall hörte man mit Behagen und
Anerkennung von dem jungen Manne sprechen. Das war nun einmal nicht zu
ändern, Mut und soldatisch Tüchtigkeit musste der vermeintliche
Tagedieb doch besitzen, und das sind immerhin Eigenschaften von
allerhöchstem Wert, zumal im Kriege. Überhaupt fühlte er zu
seiner Verwunderung, und fast mit Beschämung, dass er über seine
politischen Gegner lange nicht mehr so schroffe Ansichten hegte als
früher, und dies war ihm fatal, denn er glaubte darin bei sich einen
Mangel an Konsequenz zu erkennen. Ach, er wusste nicht, dass die sogenannte
Konsequenz in politischen Dingen oftmals nur auf dem Mangel an Fähigkeiten
oder Neigung beruht, seine Irrtümer einzusehen, und nur von Philistern und
Thoren für eine Tugend gehalten wird. Die kleinen inneren Reibungen, die
in ruhigeren Zeiten die Gemüter bewegen und zum Kampfe reizen, hatten an
Wichtigkeit verloren, da sich im gewaltigem, blutigem Ringen
Völkerschicksale entschieden. Gleichviel welcher politische Richtung die
Männer angehörten, ihre Söhne oder Verwandten standen gemeinsam
auf dem Schlachtfelde für dieselbe große Sache, und wenn sie fielen,
mischte sich das Blut des einen mit dem des anderen.
Um diese Zeit geschah es, dass an einem wunderschönen Tage des beginnenden
Herbstes Hella ihr Pony satteln ließ, um einen Spazierritt zu
unternehmen. Eine klare, sonnige Luft war rings verbreitet, stärkend wie
Wein, und aus den dampfenden Morgennebel war ein goldener Tag emporgestiegen.
Es war, als hätte sich die blaue, wolkenlose Glocke des Himmels unendlich
erweitert und die Welt sich vergrößert, denn vieles an den
dämmernden Höhenzügen des Horizontes, das sonst im blauen Dunst
oder matten Schleiern verhüllt lag, tat sich in bestimmten Linien und
zarten Umrissen hervor, und an dem Wahrzeichen der Gegend, der Kirche von
Borna, die viele Meilen weit sichtbar auf dem langgestreckten Höhenzuge
sich zeigte, der den Lauf der Elbe begleitet, konnte man heute alle Fenster
zählen. Der Trieb in die Ferne , der solchen Tagen eigen ist, die
erfüllt sind von den Lockrufen wandernder Vögel und den silbernen
Fäden des fliegenden sommers, hatte auch Hella ergriffen, und am liebsten
wäre sie hinausgeritten in die weite Welt, die heute so sauber und
glänzend erschien, so recht wie ein Schauplatz für lauter zierliche
und anmutige Abendteuer. Sie dehnte deshalb ihren Ritt heute weiter aus als
gewöhnlich , bis sie an die Grenze gelangte, wo an dem Walde des
feindlichen Nachbargutes entlang ein wenig befahrener Feldweg lief. Dort
ließ sie ihr
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