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Am
See und im Schnee
I.
Am See.
Weihnachtsgeschichte
von Heinrich Seidel - Seite 5
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Kapitelanfang der Weihnachtsgeschichte ]
In diesem Gehölze, das nicht gerade nach strengen Gesetzen der
Forstwirtschaft behandelt wurde, darum aber desto lieblicher und voller
Abwechslung war, befand sich auch eine Anzahl von stattlichen, wilden
Obstbäumen, und als sie nun an einen solchen gelangten, der eine
Fülle gelblicher Holzbirnen in das Gras zu seinen Füßen
gestreut hatte, da erschien Hella dieser Ort mit seinen mannigfachen Gaben fast
wie ein Märchenwald, und obwohl diese Früchte herbe waren, dass sie
den Mund zusammenzogen, so verlieh ihnen doch ein seltsamer Reiz der Neuheit
etwas ganz Besonderes. Danach gelangten sie in eine kleine Lichtung, wo auf
einem durch Holzhauer von Graswuchs befreiten Flecke eine Anzahl von über
mannshohen Königskerzen aufgeschossen war. Aus den Gebüschen am
Waldesrande leuchteten die Hagebutten, einige Herbstschmetterlinge gaukelten
lautlos umher, und überall hatten die Kreuzspinnen mächtige Netze
gewebt, in deren Mitte sie auf die glänzenden Fliegen lauerten, die die
Luft durchsummten. Hier war es so einsam und weltverloren, dass Hella wieder
die Bangigkeit überkam. "Nun haben wir uns gewiss verirrt!"
sagte sie.
"Verirrt?" sagte Fritz sehr wegwerfend, "in dies Holz kann ich
mich gar nicht verirren, das weiß ich auswendig. Dies ist doch man
bloß der Seebusch. Denk mal, wenn`s der Urwald wär` mit allerhand
Tigern und Riesenschlangen drin! Na, die sind hier ja nicht, aber Addern gibt`s
hier, und beim See `rum auch Schnaken. Schnaken, die tun nichts, aber die
Addern stechen, die sind giftig. Vorig Jahr hat der Jäger eine
totgeschlagen, ich hab`sie gesehen, sie haben so`n Zickzack auf`m
Rücken."
Hu, wie gruselig war das wieder! Hella drängte sich dichter an Fritz und
bat ihn umzukehren.
"Meinswegen", sagte dieser, "aber vor den Addern brauchst du
keine Bange zu habe. Unser Rademacher sagt, eine frisch geschnittene Haselrute
ist das beste Mittel gegen die Addern, na, und die haben wir ja." Damit
fasste er seinen Wurfspieß am dicken ende und ließ ihn wie eine
Reitpeitsche durch die Luft pfeifen.
Sie wendeten sich um und gingen in der Lichtung zurück. Auf den dichten
Gebüschen des Waldrandes von wilden Rosen, Schlehdorn und jungem
Buchengestrüpp lag der Sonnenbrand und brütete würzigen Duft
aus, und als sie dort entlang streiften, ward im dem halbtrockenen Grase zu
ihren Füßen ein leichtes Rascheln bemerklich, das sich träge
auf das Gebüsch zu entfernte. Fritz hatte schnell seine Rute erfasst, und
indem er Hella mit der andern Hand zurückschob, sprang er schnell zu und
schlug plötzlich auf einen Ort im Grase los. Der tückische Kopf einer
Kreuzotter schoss an jener Stelle zischend empor und wütend schnappte das
giftige Gewürm in die Luft, bis ihm ein zweiter, besser gezielter Schlag
den Gar aus machte.
Fritz sah ganz blaß aus vor Aufregung, obwohl er sich nichts merken
lassen wollte.
"Das war`ne Adder!" sagte er, "die hat genug!" Das war ein
wunderbares, schreckliches und furchtbares Abenteuer für Hella, sie sah
mit Bewunderung auf Fritz und mit Grauen auf das erlegte Giftgewürm, das
noch, mit ein wenig verglimmendem Leben erfüllt, zuweilen ohnmächtig
die Schwanzspitze regte. Als ein kleiner Held war er ihr damals erschienen, so
eine Art Drachentöter, von denen man in Märchenbüchern liest.
Fritz hatte wie jeder ordentliche Junge vom Lande ein tüchtiges Ende
Bindfaden bei sich, nebst unzähligen anderen brauchbaren und unbrauchbaren
Gegenständen, die seinen Hosentaschen für gewöhnlich das Ansehen
zweier knolliger Geschwülste gaben. Er machte eine Schlinge, fing den Kopf
der Kreuzotter darin ein und schleifte den glatten Wurm hinter sich her, indem
er von Zeit zu Zeit einen befriedigten Blick nach ihm zurücksendete und
der etwas verängstigten Hella mit erhabenen Worten Trost einsprach. Diese
trippelte neben ihm her in einem Gemisch von Bewunderung und Grauen und geteilt
zwischen den unvereinbaren Bestrebungen, dem greulichen Tiere möglichst
fern und dabei doch ihrem schützendem Begleiter möglichst nahe zu
bleiben. Darum war sie ungemein froh, als sie endlich die Gesellschaft wieder
erreicht hatten, woselbst man dem braven Drachentöter einerseits hohes Lob
spendete und anderseits an der gruseligen Frage: wie hätte es kommen
können, wenn . . .?
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